Autor: gt!nfo
08.10.2023
Der westfälische Gärtner der Queen
Bei den alten Germanen war der Wald noch Sitz ihrer Götter. Für die Römer war der Teutoburger Wald der Ort ihrer größten Niederlage, was eventuell an der engen militärischen Zusammenarbeit der Teutonen mit ihren Schutzgöttern lag. Vielleicht hat aber auch damals schon die ostwestfälische Hartnäckigkeit gegenüber der leichtfüßig südländischen Art, dem „La dolce Krieger“ obsiegt.
Im Grimmschen Märchenwald lauern keine orientierungslosen Römer, dort wartet der böse Wolf auf uns als Hauptspeise to go. Ein kleines Mädchen mit rotem Käppchen ist einerseits so bildungsfern, dass sie diesen Wolf nicht von ihrer Großmutter unterscheiden kann, aber andererseits so sprachbegabt, ihm in Tiersprache Fangfragen zu stellen. Vollpfosten und Hochbegabung in einer Person, das erinnert an den Zustand heutiger Schülerschaften in urbanen Ballungsräumen. Hänsel und Gretel setzen im Wald Brotkrumen als analoge Google-Maps-Version ein, um dann in einer naturnahen Airbnb-Unterkunft auf die weibliche Form des Raubtieres, die böse Hexe zu stoßen. Praktisch begabt lösen sie das Hexenproblem mit der alten weißen Frau in einer klickwürdigen Challenge im Backofen. Wenn Deutsche genervt sind, werden sie rabiat, selbst in Erholungsgebieten oder gerade dort.
Der deutsche Wald hat durch die Geschichte viele verschiedene Gesichter. In der Romantik blickt der Mensch dort nicht nur ins Dickicht der Natur, sondern auch in die Tiefen seiner eigenen Seele. Eichendorff beschreibt es poetisch so:
O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächtger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäftge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
Später bietet dieses grüne Zelt Unterschlupf für Räuber und ihre Beute. Im Krieg verstecken sich dort Partisanen, Menschen im Widerstand gegen das herrschende System. Bis in die heutige Zeit entziehen sich Menschen im Wald dem Zugriff der Ordnungsmacht. Manche entfliehen den alltäglichen Zwängen des Systems und finden versteckt zwischen den Wipfeln nicht nur vor Witterungseinflüssen Schutz. Kinder entfliehen in Baumhäusern der Erwachsenenwelt und begeben sich in „Das magische Baumhaus“ auf gar auf abenteuerliche Reisen.
Das schützenswerte Klima mit seinen menschengemachten Veränderungen treibt in den vergangenen Jahren Aktivisten in schwer erreichbare Baumhäuser als letztem Leuchtturm des Widerstands. War schon in der späten Romantik der Wald der Hort des verlorengegangenen Naturlebens für entfremdete Städter, so steht der stark wirtschaftlich genutzte Wald heute als Mahnmal für unwiederbringlich verlorengegangene Natur: der Hambacher Forst gleichermaßen wie der Regenwald.
Mit diesem Verlust müssen wir wie nachfolgende Generationen leben. Als therapeutischer Ausgleich dient heute der Versuch der Rückeroberung durch Baumumarmungen und Waldbaden, durch Waldführungen und leicht romantisierende Vermenschlichung des geheimen Lebens von Bäumen in gleichnamigen Bestsellern.
Auch die von Menschenhand gestalteten Parks und Gärten dienen der Genesung der geschundenen Seele.
„In 40 Jahren medizinischer Praxis“, schrieb der Neurologe und Autor Oliver Sacks, „habe ich festgestellt, dass nur zwei Arten nichtpharmazeutischer ‚Therapie‘ für Patienten von entscheidender Bedeutung sind …: Musik und Gärten.“
Während die ersten großen Schlossparks von Adeligen als repräsentative Naherholungsgebiete vor der eigenen Haustür der üppigen Wohnsitze angelegt wurden, imitiert die Mittelschicht dies vorm Eigenheim oder der abzuzahlenden Doppelhaushälfte. Das Kleinbürgertum setzt auf Kleingärten in Gemeinschaftsanlagen, sogenannten Schrebergärten oder die in Kästen gezwängte Bonnsai-Version auf dem Balkon. Neben dem therapeutischen Effekt für die Seele, spielt dort Ordnung eine große Rolle und steht zumeist noch über dem Drang zur Freiheit in der Erholungsoase.
Überhaupt bieten Parks und Gärten nicht nur Raum für romantische Neckereien von Liebespaaren in Labyrinthen und auf Parkbänken, sondern sie bieten auch eine Menge Arbeit in und mit der Natur als Ausgleich für die Arbeit in und mit Firmen.
Freizeit wird in deutschen Landen gerne abgearbeitet. Wieviel tiefgründige, weitsichtige Planungsarbeit in solchen Parks und Gärten liegen kann und wie sehr diese, teilweise erst Generationen später Früchte trägt, zeigt Dr. Carsten Seick mit seiner Arbeit seit Jahrzehnten. Der in Bochum geborene , in Bielefeld aufgewachsene und in Münster lebende Gesamtwestfale ist weitgereister Gartenexperte, als Veranstalter von weltweiten Gartenreisen aktiv, die ihn allein in der ersten Jahreshälfte auf alle Kontinente führte. Als „Gärtner der Queen“ erarbeitete der Kulturhistoriker die Rahmenbedingungen für die Neugestaltung vor der Orangerie von Kensington Palace.
Als ideales Beispiel für einen weltweitgereisten Westfalen erklärt er spielerisch die Strukturen von Parks und Gärten und deren Bedeutung für uns Menschen. Welche besonderen Ansprüche wir Westfalen haben, was das beispielhaft Positive am Gütersloher Stadtpark ist u.v.m. kann das Publikum in einer Gesprächsrunde mit ihm genau wie praktische Tipps für den eigenen Garten erfragen. Die Show wird durch die Kabarettistin Katinka Buddenkotte und ein musikalisches Rahmenprogramm ergänzt. Warum im Garten Physik vor Chemie geht und Gärtner keine Träumer sind, sondern Traumrealisierer erleben Sie bei „Westfalen weltweit“ am 14. Oktober ab 19 Uhr in der Weberei in Gütersloh.