Autor: gt!nfo
03.11.2024
Wait a Minute
Die „Hello Heroes“-Kolumne von Anuschka Bayer
Leben zwischen Liebe und Pflicht: Der Alltag pflegender Angehöriger
In Deutschland leisten täglich schätzungsweise sechs bis acht Millionen Menschen Außergewöhnliches: Sie sind pflegende Angehörige. Diese Zahl basiert auf der Annahme, dass im Durchschnitt ein bis zwei Angehörige für jede pflegebedürftige Person verantwortlich sind.
Pflegende Angehörige sind die stillen Helden unseres Pflegesystems. Durch ihre Hingabe unterstützen sie nicht nur die Pflegekassen, sondern schenken ihren Liebsten unersetzliche menschliche Nähe. Doch diese Liebe hat ihren Preis. Pflege bedeutet häufig, an die eigenen körperlichen und emotionalen Grenzen zu gehen, Bedürfnisse zurückzustellen und möglicherweise berufliche Träume aufzugeben.
Die Herausforderungen sind vielfältig. Viele erleben enorme körperliche Belastungen, insbesondere wenn Pflegende ohne ausreichende Hilfsmittel und Kenntnisse agieren müssen. Zudem bringt die enge Bindung zur pflegebedürftigen Person eine hohe emotionale Last mit sich. Finanzielle Einschränkungen sind ebenfalls ein Thema, denn oft müssen Angehörige ihre beruflichen Ambitionen auf Eis legen. Die Pflege und Betreuung erfordert oft mehr als 12 Stunden täglich, was zur Vernachlässigung sozialer Kontakte und Isolation führt.
Diese Belastungen dürfen nicht ignoriert werden. Pflegende Angehörige benötigen Unterstützung in Form von angepasster finanzieller Hilfe, mehr Zugang zu Kurzzeitpflegeangeboten und psychologischer Begleitung. Es ist wichtig, dass ihre Arbeit von Gesellschaft und Politik anerkannt wird.
Pflege aus Liebe ist eine unvergleichliche Kraft. Sie fordert täglich heraus, bietet jedoch auch Tiefe und Verbundenheit. Für viele Angehörige ist es mehr als nur eine Aufgabe; es ist eine Art, Liebe auf ihre intensivste Weise auszudrücken.
In meinem Podcast Hello Heroes spreche ich mit der TV-Moderatorin Seraphina Kalze (Abenteuer Leben, Kabel eins) über ihre Erfahrungen in der häuslichen Pflege ihres schwerkranken Vaters. Auch sie zeigt, wie sehr sie ihre eigenen Grenzen überschreitet. Viele berichten von einer inneren Zerrissenheit, zwischen dem Wunsch zu helfen und dem Gefühl der Überforderung. Unterstützungssysteme wie Selbsthilfegruppen und Austauschveranstaltungen können in diesen Momenten wertvoll sein. Sie bieten Raum, um Erfahrungen zu teilen und Strategien zur Bewältigung zu entwickeln.
Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft unsere pflegenden Angehörigen unterstützen und im Dialog bleiben. So schaffen wir ein Bewusstsein für ihre realen Bedürfnisse und Herausforderungen. Diese unschätzbaren Helden bilden das Fundament unserer Pflegegesellschaft und verdienen unsere Wertschätzung.
ZUR PERSON
Anuschka Bayer ist Initiatorin des gemeinnützigen Vereins Horses for Heroes und Muttereines 22-jährigen Sohnes mit Behinderung und einer 26-jährigen Tochter. Sie ist auch mit ihrem Podcast „Hello Heroes“ (zu hören auf allen gängigen Plattformen) on air gegangen. Dort lädt sie Zuhörer ein, sich mit Persönlichkeiten zu verbinden, die den Alltag mit beeinträchtigten Kindern oder Erwachsenen meistern. In dieser Kolumne, die monatlich im gt!nfo und auf der Website Dein Gütersloh den Inklusionsgedanken in den Fokus rückt, gibt sie sehr persönliche Impulse zu diesem Thema.