„Amazon? Nur schnöde Lieferung!“

Heiner Wichelmann

Autor: Heiner Wichelmann

Fotos: Istock

16.12.2021

Den Weihnachtsmann für ein Interview zu bekommen, ist nicht einfach, denn er ist ein vielbeschäftigter Mann. gt!nfo ist dies jetzt gelungen. Wir trafen den freundlichen alten Herrn beim Geschenkepacken irgendwo in Nordlappland und kamen gleich ins Gespräch. Er ist schon ganz aufgeregt so kurz vor Weihnachten und nimmt im Gespräch kein Blatt vor den Mund. Es gibt viel zu besprechen, denn Weihnachtsmann und Weihnachtsfest, das ist eine lange Geschichte und sie endet nie. Da haben wir Fragen.


Weihnachtsmann, es muss sehr anstrengend sein, nach all der Produktionszeit bald zwei Tage lang die halbe Welt mit Paketen zu beliefern. Wie machst Du das eigentlich? Mal unter uns: Wird Amazon nicht langsam zur ernsthaften Konkurrenz?


Weihnachtsmann: Pah! Die müssen doch mehr als die Hälfte auch wieder retour nehmen und fahren sich bei der ganzen Hin- und Herlieferei gegenseitig schon mal über den Haufen. Außerdem müssen die ja immer noch einen Parkplatz finden, was ich mir schenken kann. Ich bin ja im Parkmodus grundsätzlich unsichtbar. Wenn Ihr wüsstet, wo ich manchmal so stehe mit meinen Rentieren! Geht nicht anders, unser Geschäft ist nun mal die Geschenkübergabe just in time – und da kann ich mich auf Rudolph und die anderen Rentiere verlassen. Für mich ist Amazon nur schnöde Lieferung. Was ich mache, ist mehr, das ist Entertainment: Ich zwänge mich durch den Schornstein und lege die Geschenke direkt unter den Weihnachtsbaum. Das soll mal einer bringen!

 

Kommst Du denn auch durch diese neuartigen schlanken Außenschornsteine durch? Wie soll das gehen?

 

Weihnachtsmann: Nun, man kann nicht alles. Dann komme ich eben durch die Haustür und stelle mich mit meinem Geschenkesack der ganzen Familie, was Spaß macht, aber ich kriege dann auch den ganzen Stress beim Auspacken mit.

 

Stress beim Auspacken? Sind nicht immer alle ganz glücklich, wenn Du Deine Geschenke verteilst?

 

Weihnachtsmann: Ja und nein, irgendwie war früher mehr Weihnachten. Der Erwartungsdruck ist heute ziemlich hoch, das muss ja immer alles ganz genau passen, aber ich komme nun mal bei den ganzen Konsolenspielen nicht mehr mit. Oder worauf es bei den Superhelden-Klamotten ankommt. Wie schön war das früher, wenn Kinder sich noch über Nüsse und Äpfel freuen konnten – neben der Märklin-Eisenbahn, zugegeben.

 

Du erwähntest das Parken Deines Schlittens. Ein Mobilitätsproblem scheinst du nicht zu haben, oder?

 

Weihnachtsmann: Doch, ich bräuchte mal einen neuen Schlitten, die Geschenke werden ja immer schwerer. Hast Du schon mal ein E-Bike getragen? Mein Schlitten kommt deshalb kaum noch durch den TÜV, viele Winter hält der jedenfalls nicht mehr durch. Das gilt übrigens auch für meine Rentiere, denen setzt der Stress ganz schön zu. Ich brauche bald ein paar jüngere, die auch fliegen können.

 

Wäre das Fliegenkönnen die Lösung für unsere irdischen Mobilitätsprobleme? Was sagt Dir Deine Erfahrung?

 

Weihnachtsmann: Da darf man sich auch keine Illusionen machen. Ich selbst sause zwar ziemlich alleine da oben rum, aber wenn Ihr Menschen fliegen könntet, gäbe es auch wieder schnell Hauptverkehrslinien mit den üblichen Staus. Als Nordlappe muss ich sagen: weniger ist mehr. Dieser Stress bei euch ist auf Dauer nicht gesund. Müsst Ihr wirklich immer unterwegs sein? Lest doch lieber mal die Bücher, die ich euch zu Weihnachten schenke!

 

Für wen packst du denn in diesem Jahr die Rute aus?

 

Weihnachtsmann: Das ist natürlich regional unterschiedlich, und ich kann das nicht so generell beantworten. In Sachsen und Thüringen reicht wahrscheinlich oft eine Rute nicht aus, vielleicht sollte ich da auch mal Handschellen mitnehmen. Bei euch in Gütersloh ist die Welt ja noch recht in Ordnung. Nicht, dass ich ganz auf die Rute verzichten kann, hier und da muss ich schon mit diesem pädagogischen Mittel den einen oder anderen zur himmlischen Ordnung rufen. Dazu gehört nämlich, dass die Menschen in solidarischer Gemeinschaft zueinanderstehen und den Egoismus nicht zulassen. Ich spreche natürlich vom Impfen. Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet den Mitmenschen, auch den bereits geimpften. Ihr Menschen habt es selbst in der Hand, aus den Klauen der Pandemie zu entrinnen. Gefährdet das nicht! Das ist meine Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr.

 

Ein ganz anderes Thema: Du arbeitest ja schon länger auch mit Engeln zusammen. Ist das nicht aufregend?


Weihnachtsmann: (lacht) Früher schon! Aber in meinem jetzigen Alter brauche ich für meinen Job die ausschließliche Aufmerksamkeit, sonst schaffe ich das nicht mehr. Ehrlich gesagt, tut mir dabei aber auch die viele Routine gut. Ich fühle mich sehr ausgeglichen, und das spüren die Menschen sofort. Und ich brauche die Engel ja wirklich, denn es gibt immer mehr Menschen auf der Welt, das ist kaum noch allein zu schaffen. Außerdem ist Diversität ja schwer gefragt, und wenn man mich selbst fragen würde, ob der olle Weihnachtsmann zu mir kommen soll oder vielleicht lieber der süße Engel – ich glaube, ich würde mich genauso gern für die Flügelfrau entscheiden, auch wenn sie immer gleich wieder wegfliegt.

 

Unsere Kinder und Enkel haben schon so viel, was lässt Du Dir für sie einfallen?

 

Weihnachtsmann: Also in diesem Jahr werde ich nachsichtig sein. Die sind mit Corona wirklich schlecht dran gewesen beziehungsweise sind es immer noch. Und manche Familien mussten viele Wochen in viel zu kleinen Wohnungen miteinander aushalten, das darf nicht wieder passieren. Den Kindern dieser Familien gönne ich so viele Geschenke wie möglich, und dann greife ich auch schon mal ganz tief in meinen Rucksack. Da findet sich immer was. Am besten sind die Geschenke, mit denen man auch was lernen kann!

 

Als Konsum-Figur bist du ja der perfekte Animateur für den Kapitalismus. Fühlst du dich dabei   

eigentlich wohl?

 

Weihnachtsmann: Was soll ich machen? Die Wünsche werden den Kindern, aber auch den Erwachsenen, manchmal richtig aufgeschwatzt. „Bitte, bitte, schreib den Wunschzettel voll!“ – wenn ich das mitkriege, frage ich mich wirklich, wie lange das alles noch gutgehen soll. Und so richtig gesungen wird längst nicht mehr in allen Familien. Ich glaube, wir Himmelsleute brauchen mal einen neuen Deal mit den Menschen auf der Erde!

 

Würdest Du gegebenenfalls als Werbefigur von Coca Cola zurücktreten? Das ist doch auch schwer kapitalistisch.

 

Weihnachtsmann: Was soll ich sagen – stimmt leider. Die haben mich ein bisschen mit ihrer Brause geködert. Ich durfte soviel trinken, wie ich wollte. Man sieht an meinem Bauch, wohin das geführt hat! Vielleicht sollte ich mich als Businessfigur grundsätzlich mal überdenken.

 

Weihnachtsmann, Hand aufs Herz: Warum kommt Weihnachten immer so früh?

 

Weihnachtsmann: Weil wir so spät die Geschenke zusammentragen. Das kommt dann davon. Muss ja gar nicht so viel sein, Hauptsache, das neue Oberhemd passt, ho-ho-ho!

 

Dürfen wir noch eine ganz persönliche Frage stellen? Du musst doch unter deiner Kutte schwitzen wie in einer Sauna. Mal ehrlich: Riechst du stark?

 

Weihnachtsmann: Soll ich Dir was verraten? Manche wollen sogar, dass ich mich ausziehe, das passiert meistens bei Firmenweihnachtsfeiern. Das fällt ja in diesem Jahr aus. Kann aber auch vorkommen, dass in der Familie schwer gebechert wird und nicht nur Messwein – alles schon erlebt. Aber meine Kutte bleibt an, ich bin seriös. Und was den Geruch betrifft: der ist Nasensache. Mein heiliger Schweiß ist ja durchsetzt mit Zimt, Nelken, Anis, Lebkuchen und so weiter.

 

Du bist also authentisch?

 

Weihnachtsmann: Na hör mal! Der Weihnachtsmann ist echt, den wird es immer geben. Ich lasse mich höchstens mal vertreten, auch durch Doubles. Die Menschen nehmen uns das nicht krumm, wenn meine Vertreter ihnen das manchmal beichten müssen. Hauptsache, sie wissen, dass ich sie geschickt habe. Das reicht.

 

Danke, Weihnachtsmann. Wir freuen uns, wenn Du Heiligabend zu uns kommst. Selbstverständlich darf es ersatzweise auch ein von Dir zertifizierter Vertreter sein. Gerne auch ein Engel!

 

Weihnachtsmann: Das lässt sich einrichten. Der Weihnachtsmann und seine Gehilfen arbeiten kundenorientiert.

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