Autor: Birgit Compin
Fotos: The Picture Books
30.09.2021
Kultur
„Kreativität ist ein lustiges Phänomen, das oftmals komische Situationen braucht, um zu entstehen“, antworten Fynn und Phillip von The Picturebooks auf die Frage, wann und wie die erste Idee zu dem vorliegenden Megaprojekt entstand. „Dem Menschen war kalt, also erfand er Wege, um das Feuer zu kontrollieren. Und genau das ist die Essenz von Kreativität für uns.“ Nach jahrelangem Touren mit bis zu 200 Konzerten pro Jahr zwang sie die Pandemie, ihre Koffer auszupacken und sich der neuen Situation zu stellen. „Typisch für uns ist, dass wir immer versuchen das Beste aus allem rauszuholen. Nachdem wir merkten, dass wir super Songs haben und vor allem so viele, die wir alleine nicht fertig kriegen, kam die Idee, mal zu gucken, wer uns helfen könnte.“ Was folgte, war eine Art Schneeballeffekt, denn da hatten offensichtlich eine Menge Leute Zeit.
Herausgekommen ist das Album “The Picturebooks & The Major Minor Collective“, das in einer international angelegten Kollaboration mit dem Who's Who der aktuellen Rock-, Alternative- und Metal-Szene entstand. Das Schöne daran: jeder Gast konnte selbst entscheiden, an welchem Track er wie mitarbeiten wollte. Erschienen am 3. September, feierte die internationale Presse das außerordentliche Ergebnis sofort ab. Cory Blose, Journalist und DJ des Londoner Radiosenders „Total Rock“, nennt es „ein Produkt von unaufhaltsamen Kräften, Pech, Glück, Zufall und purer Chance“.
Zwischen Hundewelpen und Kindern
„Der erste, der sich in die illustre Liste einreihte, war unser Freund Ryan Sinn von The Distillers, der auf einigen Stücken Bass spielt“, erzählen Fynn und Phillip. Sobald das Reisen im Van 2020 wieder möglich war, machten sich die beiden auf den Weg nach Schweden, wo sie mit Elin Larsson von Blues Pills den Gesang für „Too Soft to Live and Too Hard to Die" aufnahmen. Und es fühlte sich sogar ein bisschen wie Urlaub von der Pandemie an: „In Schweden war zu der Zeit keine Maskenpflicht und das machte die Sache irgendwie doppelt crazy. Wir haben ein ganzes Wochenende bei Elin verbracht, zusammen gekocht, zwischen Hundewelpen und spielenden Kindern den Text und die Melodie geschrieben und mitten im Raum mit allen zusammen aufgenommen. Toll!“
Therapie aus Rock'n'Roll, Blues und Wahrheit
In Umea in Nordschweden spielten sie mit Dennis Lyxzen von Refused einen weiteren Track ein. Auf dem Rückweg trafen sie in einem Berliner Plattenladen auf Dave Dinsmore, Bassist von Brant Bjork, der sofort bereit war, für einen weiteren Song den Bass zu spielen. Mit diesen Tracks im Kasten ging die Band eine Schritt weiter und klingelte bei einigen der größten Namen der Rock- und Metal-Szene an. Mit Erfolg: Chris Robertson von Black Stone Cherry, dessen gefühlvoller Südstaatengesang auf "Catch Me if You Can" zu hören ist, sagte später: „Was dabei herauskam, war eine therapeutische Sitzung mit Rock'n'Roll, Blues und einer ganzen Menge Wahrheit.“ Für eine weitere Ikone der Szene, Lzzy Hale von Halestorm, fühlte sich die Anfrage so an: „Dieses Projekt kam zu einem Zeitpunkt in mein Leben, als ich es wirklich brauchte. Das Schreiben dieser Texte war wie eine Straßenkarte, die mich zu dem zurückführt, was ich bin. Ich bin der Band so dankbar, dass sie mich in ihre Welt aufgenommen und mir die Freiheit gegeben haben, meine persönliche Reise der Wiederentdeckung meiner selbst auszudrücken.“
Berlin und Nashville auf einem Fleck
Doch nicht mit jedem konnten sie sich in den vergangenen Monaten persönlich treffen. Wie auch?! Der Technik sei dank, fand die Arbeit trotzdem so manches mal gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten statt. „Es fühlte sich tatsächlich an, gemeinsam in einem Raum zu stehen“, sagt Fynn immer noch begeistert. Ein Gefühl, dass Lzzy Hale, mit der sie den Song „Rebel” geschrieben hatten, genauso bestätigt. „Selbst der Video-Dreh mit ihr fühlte sich so an, obwohl wir dafür in Berlin waren und sie in Nashville, Tennessee.“ Und eigentlich war die Arbeit für all diese Musiker, die auf der Platte zu hören sind, genauso, wie sie sich in Zeiten der Pandemie für viele andere Menschen auch anfühlt: Man arbeitet und diskutiert in entspannter und proaktiver Stimmung in schier unzähligen Zoom-Calls.
Magischer Auftritt …
Und jetzt? Während so mancher nach so einer produktiven Phase in ein kreatives Loch kullert, hauen diese Jungs noch einen raus. Zur gleichen Zeit, als das Album erschien, erklommen sie nach fast zwei bühnenfreien Jahren mit weiteren Bands die Stage beim Zig-Zag-Fest in ihrer Heimatstadt. Und das war: „Emotional!“ „Diese Veranstaltung war magisch. Alle Musiker haben sich Backstage in die Arme genommen; wir konnten nicht glauben, das es real war, was da passierte.“ Selbst ihr Label war angereist um diesen Moment mitzuerleben. „Dieser Abend hat uns aber auch gezeigt, dass diese Art von Kultur viel zu wenig in Gütersloh gefördert wird, obwohl genug Leute da sind, die so einen Bock darauf haben“, sag Fynn.
… und endlich mehr davon
Doch das war noch nicht alles: „In meinem Jahrgang sind die meisten Leute von hier abgehauen, weil sie diese Kulturwüste nicht mehr ausgehalten haben. Wir sind überall auf Tour in dieser Welt und auch in Städten gleicher Größe oder noch kleiner – und da geht mehr. Das Schöne ist ja eigentlich, dass sie nicht so anonym sind wie die Metropolen. Wir müssen also einen Weg finden, sowas genau hier mehr zu fördern und den Kids zeigen, dass sie mit anpacken müssen, um wirklich coole Sachen auf die Beine zu stellen.“
Make it Happen!
„Gütersloh, wir werden unser Leben lang zu dir zurückkommen, nachdem wir ein Leben lang versucht haben, von dir weg zu kommen. Es gibt nur das hier und jetzt, hier und jetzt kreieren wir unsere morgige Vergangenheit. Lasst uns versuchen, uns dementsprechend zu verhalten und Verantwortung für unsere Taten zu tragen. Wir lieben euch! Bleibt Gesund! Make it happen!“