Autor: gt!nfo
Fotos: Thorsten Wagner-Conert
16.12.2021
Text und Fotos: Thorsten Wagner-Conert
Vielfach aus Ahnungslosigkeit unbeachtet liegt der Neue Jüdische Friedhof in der Böhmerstraße am Rand der Stadt. Umgeben ist er von gemischter, unaufgeregter Wohnbebauung. In der zweiten Reihe steht einer dieser modernen Wohnkästen mit Staffelgeschoss, der einen scharfen Kontrast zur letzten Ruhestätte bildet. Von 1866 bis 1946 wurden hier jüdische Mitbürger beigesetzt – und auch da gab es Kontraste – Kontraste, die schmerzen. Sie rühren - niemanden wird es wundern – aus der schlimmsten, grausamsten Ära deutscher Geschichte.
Michael Schüthuth ist Lehrer an der Anne-Frank-Gesamtschule, die fünf Minuten zu Fuß vom Friedhof entfernt liegt. Und er ist einer derer, die dafür sorgen, dass jüdisches Leben und Sterben in Gütersloh im kollektiven Bewusstsein bleiben. Er hat den Zugriff zum Schlüssel, der den Zugang zum Friedhof erst möglich macht. Dieser Schlüssel erinnert an die unerträgliche Tatsache, dass jüdisches Leben und Gedenken in Deutschland selbst 2021 noch gesichert werden müssen. Mit seinen Schülerinnen und Schülern fährt er nach Auschwitz; zu den Gräbern in der Böhmerstraße kennt er die Lebensgeschichten und die Schicksale.
Wer Fragen hat, findet bei ihm Antworten: Und dann wird einem schnell bewusst, wie schnell damals Haltung und Werte dem widerlichen Hass im Nazideutschland geopfert wurden. Beispiel Salomon Herzberg: Der Metzgermeister wurde im Jahr 1931 51-jährig noch mit allen Ehren, mit Beachtung beigesetzt. Nur zwei Namenszeilen tiefer nennt der Grabstein Clara Herzberg, brutal umgebracht im KZ Riga 1943.
Die jüngsten Gräber datieren von 1946. Zwei Kinder wurden darin beerdigt. Das eine wurde nur sechs Tage, das andere fünf Monate alt. Es waren die Kinder zweier polnischer Zwangsarbeiterinnen, die auf ihrem Transport ins KZ Bergen-Belsen bei Kaunitz von amerikanischen Soldaten befreit wurden.
66 Grabstätten gibt es auf dem Neuen Jüdischen Friedhof. Friedlich wirkt der in der schwachen Wintersonne. Ein trügerischer Frieden, der spät kam, viel zu spät. Der Friedhof ist ein Ort des stillen Mahnens – und er wird es bleiben. Dafür sorgen viele Menschen in Gütersloh, dafür sorgt auch die Tatsache, dass der Friedhof Baudenkmal ist – und dafür sorgen Lehrer wie Michael Schüthuth. Der ist ein wenig stolz, wenn Schüler auf die Frage, was man in Gütersloh Fremden zeigen müsse, antworten: „Den Jüdischen Friedhof, den würden wir zeigen.“