Autor: Thorsten Wagner-Conert
Fotos: Thorsten Wagner-Conert
02.06.2022
Woanders würde man die Wände hochgehen, sich aufregen, die Polizei rufen, Anzeige erstatten. Woanders allerdings sind es aber auch regelmäßig Schmierereien, aufgetragen auf neuen Brücken, bis dahin unschuldigen Hausfassaden und anderen Dingen, die den Verursachern nicht gehören. Der Tatvorwurf dann: Sachbeschädigung. Aber die im Dunklen sieht man meistens nicht.
In Gütersloh sprühen sie im Hellen, frei von Aggressionen und doch oft deutlich in der Aussage. Gut so. An der Weberei sind die Graffitis längst anerkannte, viel bestaunte und oft fotografierte Kunstform. Möglich macht’s ein feiner Zug der Deutschen Bahn: Die nämlich duldet, dass der an die Weberei angrenzende Bahndamm inklusive des Tunnels an der Dalkestraße immer wieder farbige Aufwertungen erfährt.
Rumgesprochen hat sich das in der Sprayer-Szene längst. Und weil die bereitwillige Überlassung der eigenen Wände zum Austoben von Sprühkünstlern eine Rarität in OWL ist, kommen die jungen Künstlerinnen und Künstler beispielsweise auch aus Bielefeld oder Paderborn, um in Gütersloh zu zeigen, was sie draufhaben. Gütersloh steht diese Form der Buntheit an der Weberei. Warum auch nicht? Schließlich soll ruhig jeder wissen, wo Buntheit und Soziokultur zuhause sind, wo Kreatives willkommen ist. Weberei-Chef Steffen Böning findet’s gut, ist nur ganz selten mal genervt: Wenn es über die Wände hinausgeht, die Farbe auf Fenstern landet oder Türschlösser verklebt, dann ist schon mal einen Moment Schluss mit lustig. Aber im nächsten Augenblick schon überwiegt wieder der Spaß am Knallbunten.
Die Sprayer haben ihren eigenen Jargon. Und sie haben ihre Signaturen, die sogenannten Tags. Oft sind die schwer zu entschlüsseln, aber darum geht es auch nicht. Auch die Tags sind Kunstform. Und welcher Künstler hinter welchem Tag steckt, das weiß man in der Szene. Oft genug kann man sie bei ihrem Werk beobachten, denn regelmäßig werden neue Motive auf die Wände aufgetragen, die zeigen: Die Szene lebt. Und manchmal, da bleibt sie auch nicht unter sich: Immer mal wieder passiert es, dass Passanten sprichwörtlich einen Narren fressen an den lauten, poppigen und schrägen Motiven. Dabei entstehen dann Gespräche mit den Machern – und gelegentlich entstehen Aufträge daraus. Weil jemand eine langweilige Wand zuhause hat, weil sich ein Unternehmen besonders hip geben will, oder auch schon mal, weil eine politische Partei der jungen Zielgruppe zeigen will, wie cool sie eigentlich ist.