Australischer Müller mit Durchhaltevermögen

Autor: Thorsten Wagner-Conert

Fotos: Thorsten Wagner-Conert

29.09.2021

Siegfried Friese winkt ab: Reichtümer sind mit Avenstroths Mühle nicht anzuhäufen. Trotzdem mahlt er schon seit Ende der 1980er Jahre. „Weil ich das Kulturgut erhalten will“, sagt er, der sein Geld eigentlich als Ingenieur im Maschinenbau verdient. Parallel hält er den Betrieb der Mühle als Müllermeister aufrecht und verkauft in der sogenannten Sundernmühle neben Mehl auch Agrarprodukte, Tierfutter, Saatgut. Meister Friese, Jahrgang 1962 und Inhaber eines australischen Passes, Geburtsort: Melbourne, ist Überzeugungstäter in einem Handwerk, das eigentlich aus der Zeit gefallen zu sein scheint – wie auch die Mühle selbst.


 


1856/1857 wurde sie erbaut, darin kam zunächst die erste Dampfmaschine in Gütersloh zum Einsatz. 45 Jahre später brannte die Mühle ab. Nach dem Wiederaufbau der Getreidemühle wurde seit 1903 die Wasserkraft der Dalke zur Stromerzeugung genutzt. Dadurch bekamen knapp 40 Villen im Stadtpark zu ihrer Stromversorgung – zehn Jahre später erst war die Innenstadt am Netz. In der Mühle wurden zu jener Zeit zwei Tonnen Getreide täglich gemahlen.


1984 wurde die Mühle unter Denkmalschutz gestellt – als eine der ältesten Mühlen an der Dalke und wohl auch wegen ihrer ungewöhnlichen Architektur. Die Pläne für das auffällige Unikat schräg gegenüber dem Parkbad stammen von Christian Heyden, der später mit der Martin-Luther-Kirche, dem alten Rathaus und dem damals Evangelischen Krankenhaus unübersehbare architektonische Spuren in Gütersloh hinterließ.


Die Stadt ist Eigentümerin der Mühle, Siegfried Friese ihr Pächter. Er hat eine intensive Leidenschaft für das alte Ensemble – und dafür entbehrt er vieles. An längere Urlaube ist nicht zu denken, andere Freizeitvergnügungen fallen für den doppelt Beschäftigten auch eher aus. Nach dem plötzlichen Tod seiner Lebenspartnerin 2019 sitzt er allein auf der Mühle – und gibt nicht auf, pendelt zwischen der hochmodernen Elektronikwelt seines Arbeitgebers und seinem musealen Handwerksbetrieb. Das modernste, fast schon irritierende Stück in der Mühle ist eine elektronische Waage, die auch die Etiketten für die Mehltüten ausspuckt. Ansonsten gibt es wenig Licht, viele alte Werkzeuge, stapelweise Papiere und Produkte, die auf Käufer warten. Die übrigens kommen gern aus der Umgebung, um das Handwerksmehl zu kaufen – und ein Schwatz ist dann immer drin, wenn der Meister selbst im Haus ist. Der kleine Abstecher in eine andere, fast vergessene Welt lohnt sich auch schon allein wegen des Mühlenbetreibers.

Unsere Website verwendet Cookies. Bleibst Du weiter auf unserer Website, scheinst Du nicht nur von der Seite begeistert zu sein, sondern stimmst auch der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen findest Du hier