Elefanten für Gütersloh

Autor: Thorsten Wagner-Conert

Fotos: Pexels

12.05.2024

Ansichtssachen


In der Stadt des schadhaften Regierens – Elefanten für Gütersloh


Text: Thorsten Wagner-Conert


Mag sein, dass es nach dem 9. Juni einfach nur ein Weiterwurschteln mit Tendenz zu unerträglichem Stillstand bis hin zur regulären Kommunalwahl in 2025 gibt. Mag auch sein, dass die für dieses Datum geplante Abstimmung über die Abwahl von Bürgermeister Norbert Morkes zu dem Ergebnis führt, das sich mittlerweile alle Ratsfraktionen wünschen. Würden sich die Wahlberechtigten mehrheitlich gegen den amtierenden und suspendierten Bürgermeister entscheiden, sehen die Grünen den „Neustart für Gütersloh“ zum Greifen nah. Der aber wird nicht allein dadurch gelingen, dass Gütersloh sich einen neuen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin wählt, findet Thorsten Wagner-Conert in seinen Ansichtssachen:

„Hätte, hätte, Fahrradkette…“ – das Steinbrücksche Zitat möchte man denen entgegenrufen, die es schon immer wussten: „Der Morkes hätte nie Bürgermeister werden dürfen“ – so und ähnlich tönt es aus von eigenen Gnaden berufenen Mündern solcher, die es natürlich besser wissen: Norbert Morkes wurde Bürgermeister in einer demokratischen Stichwahl, in der der damalige Amtsinhaber und Gegner nicht (mehr) zu überzeugen vermochte.


Mit dem Wahlsieg vom 27. September 2020 begann eine neue Ära in Gütersloh, die des Bürgermeisters Norbert Morkes. Und mit diesem Datum war auch alles beisammen, um einen Konflikt am Horizont erkennen zu können, wenn man ihn hätte erkennen wollen. Die Zutaten zur „Polit-Melange von Gütersloh“ sind vielfältig – und jeder erfahrene Coach hätte vermutlich geraten: „Lasst die Finger davon, räumt das mit viel Fingerspitzengefühl ab, bevor es euch um die Ohren fliegt.“ Aber dazu hätte man einen Berater gewollt haben müssen. Und man hätte das gute alte Hinterzimmergespräch führen müssen, das so heute kaum noch vorkommt: Ein vertrauliches Gespräch, in dem man offen und respektvoll miteinander (und unter sich) redet, die Sollbruchstellen benennt und sich darüber austauscht, wie man die Kuh gesichtswahrend vom Eis bekommt. Stattdessen lieferten und liefern sich die Beteiligten eine lehrbuchmäßige Eskalation, die sich Konfliktforscher nicht besser (oder schlechter) ausdenken können. Einer von ihnen, der Österreicher Friedrich Glasl hat im Jahr 1980 sein „Phasenmodell der Eskalation“ vorgelegt – nicht ahnend, dass er seine Forschung über 40 Jahre später in Gütersloh bestätigt bekommt: Friedrich Glasl beschreibt seine Eskalationsstufen – entgegen anderen Konfliktmodellen – zutreffend als einen Weg nach unten. Und er beschreibt damit den aktuell in Gütersloh leidvoll mitzuerlebenden Weg: Auf der ersten Ebene kommt es zu Verhärtungen, es gibt Debatten und anschließende Taten. Das wäre ein Weg mit Gewinnern auf beiden Seiten gewesen – einer der im Rathaus nicht genommen wurde. Auf der zweiten Ebene werden Koalitionen geschmiedet, es kommt zu Gesichtsverlust und Drohungen werden offen ausgesprochen – hier fühlt sich eine Seite als Gewinner, während die andere im wahren Wortsinn alt aussieht. Die dritte Ebene, auf der es nur noch Verlierer gibt, besteht aus Vernichtung, Zersplitterung und dem gemeinsamen Untergang.


Gelingt die politisch gewollte Abwahl von Nobby Morkes, wäre er der sichere Verlierer. Aber auch die anderen Akteure des Streits gingen mit erheblichem Vertrauensverlust durch weite Teile der Bürgerschaft vom Platz. Scheitert die Abwahl, wäre der Bürgermeister bis ans Ende seiner Amtszeit ein ausgesprochen angeschlagener Platzhalter in seinem Büro (sollten laufende Ermittlungsverfahren nichts anderes fordern). Die Initiatoren hätten sich in diesem Fall unmöglich gemacht, wären geeint im Scheitern. Und sie hätten eine halbe Million Euro extra quasi verbrannt. Aber, siehe Anfang: „Hätte, hätte, Fahrradkette…“.


Am 9. Juni abends werden wir mehr wissen – und wir werden nebenbei auch erfahren, ob das Abwahlverfahren als einzig positiven Nebeneffekt wenigstens die Wahlbeteiligung zur gleichzeitigen Europawahl über die bescheidenen 60 Prozent vom vergangenen Mal bringen konnte. Die Bürgerschaft wird den Akteuren des Bürgermeisterzoffs vieles zu verzeihen haben: Den lähmenden Stillstand an vielen Ecken zum Beispiel, die unterschiedlichen Aussagen zu Projekten, die den Einwohnern wenig zugewandte Selbstbeschäftigung in Rat und Verwaltung, den Verlust der Strahlkraft einer einst selbstbewussten kleinen Großstadt, die vernachlässigte Kontaktpflege mit Wirtschaft, Gewerkschaften, Sozialträgern, eine gespaltene Stadtgesellschaft zum Beispiel.


Die einzige Bürgermeisterin in der Geschichte der Stadt, die zweitlängste in ihrem Amt, Maria Unger, hatte ihre Arbeit überschrieben mit den Worten „Einen, nicht spalten.“  Die Zeit von „Mensch Maria“ ist nicht wiederholbar, ihr Motto aber sollte sich jeder künftige Amtsinhaber – gleich welcher politischen Herkunft – zu Herzen nehmen. Gütersloh hat es nötiger denn je. Doch wer soll es denn nach dem derzeitigen Desaster machen? Im Angebot ist – spätestens zur Kommunalwahl 2025 – die Spitzenposition einer schwer angeschlagenen und desolaten Stadt, die in ihrer guten Stube wirkt, als hätte gleich eine ganze Herde von Dickhäutern (die zunehmend Dünnhäuter wurden) dem Porzellanfachgeschäft die zweifelhafte Ehre erwiesen.


Gütersloh braucht einen „Neustart“ – da haben die Grünen recht. Aber: Definiere Neustart. Ist das Ende des einen schon der Beginn des anderen, des Neuen? Und reicht ein singulärer Neustart? Oder braucht es da nicht gleich ein paar frische Elefanten im Bürgermeisteramt, in Politik und Verwaltung? In der Regel kümmern die sich übrigens nicht primär um das Zerdeppern von Haushaltsgeschirr: Elefanten wird zugeschrieben, sehr intelligent und sozial zu sein, tiefe Bindungen einzugehen und ein ausgezeichnetes Gedächtnis zu haben – und somit über Qualitäten zu verfügen, die am Ende des ganzen Theaters gute Zutaten wären, um wieder ein gutes Gütersloh zu formen.

   

 

 

  

 

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