Gütersloh, wohin gehst du?

Autor: Thorsten Wagner-Conert

Fotos: Leeloo Thefirst:

01.11.2023


Gütersloh, wohin gehst du?

 

Text: Thorsten Wagner-Conert

 

Vor fast fünf Jahren, im Januar 2019: Der gewesene Bürgermeister Henning Schulz lud zum Neujahrsempfang in die Stadthalle, 250 Gäste kamen und wurden druckbetankt – druckbetankt mit städtischem Lebensgefühl, einer Aura des Zusammenhalts und mit der bürgermeisterlichen Erkenntnis, dass die Stadt doch „viel besser als gar nicht so schlecht“ sei. Irgendwer machte sich damals einen Spaß draus, ließ aus dem Schulz-Spruch klammheimlich Aufkleber produzieren: Mit den Stickern „Gütersloh. Viel besser als gar nicht so schlecht.“ wurden anschließend Eingangstüren der Innenstadtläden übersät. Das sehr ostwestfälische Understatement bekam seine Schmunzler. Heute verdient es seine Zweifler, findet Thorsten Wagner-Conert und belegt das mit einem (gewiss nicht vollständigen) Streifzug durch die Innenstadt.

 

Vielleicht gehört es zur Gütersloher Mentalität, dieses häufig formulierte „Geht nicht…“, das „Kein Geld, das nächste Jahr sieht düster aus…“, aber auch das ständige Zwei-vor-eins-zurück bei Ideen, Plänen und Projekten, wenn es denn welche gibt. Beherzte Vorwärts-Bewegungen sind nicht die Sache von Verantwortlichen in unserer Stadt. Beispiel gefällig?

 

Das Viertel rund um Bahnhof und ZOB, erst kürzlich von Landrat Sven-Georg Adenauer in die stärkere öffentliche Wahrnehmung geschoben, drängt sich auf: Der Chef des Kreises Gütersloh fühlte sich deutlich unwohl bei dem Versuch, Gäste auf dem Bahnsteig in Empfang zu nehmen. Wer sich einmal genauer dort umschaut, wird den Mann verstehen. Wer Gütersloh mit der Bahn erreicht, trifft zunächst mal auf soziale Verwahrlosung, auf im Elend Gestrandete, mitunter auch auf zwielichtige Gestalten, die noch von ihrer bedeutenden Rolle als Kiezgröße nur träumen. Ein Willkommensgefühl für Angereiste, gar ein gutes Sicherheitsgefühl? Komplette Fehlanzeige – vom Gefühl, dass dir diese zweitkleinste Großstadt der Republik ein Angebot zum gerne bleiben macht, mal ganz zu schweigen.

 

Nur der Vollständigkeit halber: In jeder Stadt gibt es Menschen, denen es nicht gut geht, denen das Schicksal den bitteren Alltag vorgibt. Aber hier macht es deutlich den Eindruck, dass das Miteinander nicht moderiert wird, sich niemand für dieses Klientel zuständig fühlt.

 

Weiter geht’s durch die Strenger Straße, die wenig Gutes hoffen lässt: Die Älteren erinnern sich an Schreibwarenhandel, Modeläden, eine Galerie, einen Juwelier – lange ist’s her. Heute stattdessen Wettbuden, Dönerläden, kurzzeitige Einzelhandelsversuche, Handyläden… Eine Straße, die sich selbst überlassen wurde. Die Läden mögen ja im Einzelnen ihre Berechtigung haben. Der Mix aber lässt zweifeln. „Man kann den Immobilienbesitzern ja nicht vorschreiben, an wen sie vermieten“, wird in solchen Fällen (die sich in anderen Innenstadtstraßen auch als begonnene Entwicklung abzeichnen) gerne gesagt. Stimmt. Man kann aber Prozesse moderieren, mit Eigentümern reden, eine Stadt dadurch ansprechend halten. Zuvorkommende Förderung einer attraktiven Innenstadt ist etwas anderes als die anschließende Resignation über Tatsachen.

 

Und noch ein paar Schritte weiter, der Konrad-Adenauer-Platz vor der Sparkasse: „Schön sieht er ja aus, aber sein möchte ich da nicht“, so der Gedanke an den eher gescheiterten Versuch, moderne Ästhetik und verweillustige Gütersloher und Nicht-Gütersloher auf einen Nenner zu bringen. Polizeieinsätze, Videodokumentationen und eigene Wahrnehmung belegen: Es verweilen dort häufig – spätestens abends, wenn es dunkel wird - die Falschen, um dort Falsches zu tun. Ein berauschender Platz – wenn man am Vollrausch Interesse hat und der Szene mit Bargeld begegnet. Nun geht’s um Schadensbegrenzung. Eine Wand aus rostigem Stahl soll wieder verschwinden, weil deren Zweck von hemmungslosen Wildpinklern deutlich fehlinterpretiert wird. Ein Beispiel, wie ein Platz optisch anspruchsvoll, aber zielsicher an den Bürgern vorbei gebaut wurde. Schade um vertane Chancen, liebe Stadtverwaltung, auch hier geht’s nun eher darum, noch Schlimmeres zu vermeiden. Und es geht darum, mehr Licht ins Dunkel zu bringen – auch im eigentlichen Wortsinn.

 

Es gibt beliebig weitere Beispiele, wo es nicht funktioniert, wie es funktionieren könnte. Und es gibt (zumindest noch) wunderbare Gründe, Gütersloh zu lieben:

 

Die Kultur in unserer Stadt lebt durch Vielfalt: Mal wirkliches Großstadtniveau, mal Subkultur, mal Kleinkunst – und ein anderes Mal wieder Überraschendes. Das Angebot eint, dass es von Menschen gestaltet wird, die dafür mit Leidenschaft leben.

 

Und noch gibt es sie, die Einzelhändler, die der Innenstadt ein eigenes Gesicht geben, weil sie ein eigenes Angebot gestalten – mit Leidenschaft, die aber mehr und mehr von einem Müdigkeitsschleier überzogen wird. Es ist nicht die Amazon-Müdigkeit, die da wirkt. Das Engagement wird flügellahm, wenn Einzelhändler zunehmend das Gefühl haben, Einzelkämpfer-Händler zu sein, weil das Gemeinsame in dieser Stadt nicht mehr spürbar ist, Bewegung und Entwicklung nicht mehr sichtbar werden.

 

Gütersloh Marketing hat in der jüngeren Vergangenheit nicht nur positive Schlagzeilen produziert, weshalb das städtische Unternehmen nun enger begleitet und kontrolliert werden soll. Dabei gibt es in diesem Marketing kreative Köpfe, die Bewundernswertes leisten – nicht wegen der strittigen Diskussionen über die Institution Gütersloh Marketing im Rathaus, sondern trotzdem. Was würden diese kreativen Köpfe erst leidenschaftlich leisten, wenn man sie einfach ließe.

 

Zugegeben, dieser Streifzug ist deutlich lückenhaft. Und natürlich ist er subjektiv, was denn auch sonst?

 

Aber er lässt erkennen, was unsere Stadt braucht, um wieder stärker einzigartig zu werden und lebenswert zu bleiben: Sie braucht Täter im besten Sinn, echte Macher. Sie braucht weniger Projekte, die immer wieder in Schubläden landen – sondern mehr Projekte, die auf die Straße kommen und wirken – das Beispiel der Bahnhofsgestaltung ist da nur eines. Sie braucht ein beherztes „In-Ordnung-bringen“ genauso, wie Gestaltungswillen. Es geht nicht immer um Geld. Es geht auch darum, kreativ zu werden, anzupacken, den gemeinsamen Nenner zu finden und ihn zu leben. Es geht auch darum, dass sich Politik und Verwaltung nicht länger aneinander abarbeiten, sondern an ihrer Stadt.

 

Sollte mal wieder jemand auf die Idee kommen, Sticker mit Gütersloher Botschaften in Umlauf zu bringen: Noch haben wir die Wahl, was draufstehen könnte. Und da gibt es die ganze Bandbreite. Meine Vorschläge:

 

„Gütersloh. Ist eben so.“

 

„Gütersloh. Nicht mehr weit bis Bielefeld.“

„Gütersloh. Schön ist’s woanders.“

 

„Gütersloh. Wir können nicht mehr.“

 

Im Angebot könnten aber auch sein:

 

„Gütersloh. Weil wir gestalten statt verwalten.“

 

„Gütersloh. Geschlafen wird woanders.“

 

„Gütersloh. Wir schaffen das.“

 

oder aber

 

„Gütersloh. Die Stadt der Macher.“

 

Jedenfalls: Noch ist’s nicht zu spät. Es ist nicht zu spät, um anzupacken. Und es ist auch nicht zu spät, Begeisterung statt Resignation zu leben. Machen ist wie Wollen – nur eben viel cooler. Für eine (noch) einzigartige Stadt, die Überzeugungs-Täter verdient hat. Es sollte dann aber auch mal losgehen.  

 

 

 

 

 

      

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