Autor: gt!nfo
Fotos: Stefan Schneidt
24.11.2021
In Glasgow sagte der frühere US-Präsident Barack Obama, wir jungen Menschen hätten „das Recht, frustriert zu sein“. Er ruft dazu auf, unsere Wut zu kanalisieren, uns von der Frustration anspornen zu lassen. „Rüstet euch für einen Marathon, nicht für einen Sprint“, so Obama. Ähnliche Töne kommen von unserer scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Und da sage ich den jungen Leuten, sie müssen Druck machen, und wir müssen schneller werden.“
Text und Fotos: Stefan Schneidt
Wo wart ihr?
Die Worte sollen vielleicht motivieren, aber mich machen solche Aussagen eher wütend. Ich frage mich: Wo bitte wart ihr, als ihr noch eure Ämter innehattet? Wo wart ihr, als ihr noch aktiv etwas verändern konntet? Was bringen die netten Worte, wenn die Taten konträr sind? Merkel räumt Versäumnisse beim Klimaschutz ein, aber selbst auf dieser Weltklimakonferenz hat sie die letzte Chance ihrer Kanzlerschaft nicht genutzt. Deutschland schließt sich wichtigen Initiativen, wie dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, nicht an. Dabei weiß Merkel genau, wie ernst die Situation ist. Sie ist Physikerin. Sie war Umweltministerin. Sie ist Bundeskanzlerin. 1995 leitete sie die erste Weltklimakonferenz in Berlin. Erstaunlich ist aber, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten gehandelt hat. Der Klimaschutz war am Anfang ihrer Karriere ihr Herzensthema – und das, obwohl das öffentliche Bewusstsein damals deutlich geringer war. Doch während ihrer Amtszeit hat Merkel unterschiedliche Krisen durchlebt und den Klimaschutz aus den Augen verloren. Noch schlimmer – sie hat auf europäischer Ebene oft ambitionierte Maßnahmen verhindert, weil sie sich nicht gegen die Interessen der Automobilindustrie durchsetzen konnte.
Vor kurzem sah ich einen Ausschnitt mit ihr in der NDR-Talkshow von 1997. Wenn man dort hört, wie Merkel damals für den Klimaschutz geworben hat, dann muss man sich wirklich fragen: Wer hat sie ausgetauscht, wieso hat sie nicht gehandelt – und was bleibt von der Klimakanzlerin Merkel eigentlich übrig?
Ergebnis versus Wirklichkeit
Das Ergebnis der Weltklimakonferenz wird der Krise, in der wir uns befinden, nicht gerecht. Ich bin kein Freund davon zu sagen, dass alles schlecht war. Die beste Nachricht ist, dass das Ende des fossilen Zeitalters endlich eingeläutet wurde. Der Ausstieg der Kohle wird global nicht mehr aufzuhalten sein. Diese grandiose Nachricht zeigt aber auch hervorragend auf, wo der Prozess bei den Weltklimakonferenzen gerade steht – nämlich noch ganz am Anfang. Es hat 26 Weltklimakonferenzen gebraucht, damit das erste Mal das Wort „Kohle“ in der Abschlusserklärung auftaucht. Es ist skurril, weil uns allen klar ist, dass fossile Energieträger für den Klimawandel hauptverantwortlich sind. Nur weigern sich einige Regierungsoberhäupter diesen Fakt zu akzeptieren.
Die Uhr tickt
Je nach Projektion bleibt uns zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nur noch dieses Jahrzehnt. Wir befinden uns in einer 1,2 Grad Erderhitzung und haben bei der Klimafrage etliche Jahrzehnte verloren. Wir müssen schnell handeln, doch die Pläne sehen leider anders aus. Die Klimaziele sind das größte Problem. Diese sind ausnahmslos unzureichend. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) hat vor vier Wochen einen Bericht veröffentlicht. Demnach steuert die Welt auf 2,7 Grad Erderhitzung zu, wenn die aktuellen nationalen Klimaziele eingehalten werden. Die Weltgemeinschaft müsste ihre aktuellen Klimaschutzbemühungen versiebenfachen, um das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten. Und dabei werden nicht einmal die aktuellen, unzureichenden Klimaziele von den meisten Staaten eingehalten.
Doch schauen wir nicht auf andere Länder, werfen wir einen Blick auf Deutschland: Wir möchten unsere Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Das Klimaziel ist nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel und müsste deutlich angehoben werden. Doch laut Bericht des Bundesumweltministeriums schaffen wir nicht mal die unzureichende Reduktion von 65 Prozent. Ohne neue Maßnahmen erreichen wir nur eine Reduktion von 49 Prozent. Klimaziele, egal auf welcher Ebene, zu formulieren ist gut, wichtig und richtig, aber ohne auch die notwendigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen, erreichen wir diese Klimaziele nicht.
Keine Verbindlichkeit beim Kampf gegen Abholzung
Die letzten COPs (Conference of the Parties) haben gezeigt, dass immer wieder neue Ziele ohne verbindliche Regeln formuliert wurden. In diesem Jahr ist es ähnlich. Schon 2014 gab es eine Initiative, die New York Declaration on Forests. Das Ziel war, bis 2020 den Verlust der Wälder zu halbieren und bis 2030 ganz zu stoppen. Erfreuliche Ergebnisse kann man bis heute nicht verkünden. Wenn jetzt erneut in Glasgow verkündet wurde, wieder ohne klare Verbindlichkeit, dass man ab 2030 keine Abholzung mehr dulden möchte, dann ist es zu spät. Brasilien möchte zwar schon ab 2028 der Abholzung den Kampf ansagen, aber wie geht es der Lunge des Planeten aktuell?
Schon jetzt ist der Regenwald in einem desaströsen Zustand. Er emittiert mittlerweile mehr CO2 als er aufnimmt und noch nie wurde im Amazonas so viel abgeholzt wie in den letzten Jahren. Wissenschaftler warnen seit Jahren davor, dass der Amazonas bei einer Abholzung von 20 bis 25 Prozent nicht mehr zu retten ist. Er würde kippen. Das heißt, man könnte den alten Zustand nicht mehr herstellen, er wäre irreversibel geschädigt. Seit 1970 wurden circa 20 Prozent des Amazonas gerodet. Ich frage mich: Wie offensichtlich wollen wir unsere eigene Existenz gefährden?
Kein Wendepunkt in Sicht
Wir müssen uns fragen, in was für einer Welt wir und unsere Liebsten leben möchten. Glasgow hätte ein Wendepunkt werden müssen, doch die Weltgemeinschaft hat versagt.