Aufstand der Anständigen 2.0

Autor: Thorsten Wagner-Conert

Fotos: Pexels

09.02.2024

Aufstand der Anständigen 2.0

 

„Wie konnte das passieren?“, „Wir haben ja nichts davon gewusst.“ Diesen und ähnliche Dialoge hat es ungezählt oft in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die einen stellten die Frage auf der verzweifelten Suche nach Erklärungen für Vernichtung, Vertreibung, Gräueltaten, Hass und Hetze. Die anderen stellten sich in ihrer Antwort vielfach ahnungslos - oftmals, um vor sich selbst zu bestehen, um sich auszuhalten, sich zu ertragen im Rückblick auf das vollkommen enthemmte Nazi-Deutschland, von dem sie in den meisten Fällen ein Teil waren. Das ist jüngere deutsche Geschichte. An der jüngsten schreiben wir gerade alle mit, befindet Thorsten Wagner-Conert in seiner Ansichtssache.

 

„Wehret den Anfängen“ – so hieß es schon immer. Das Zitat geht immerhin auf den römischen Dichter Ovid zurück. Seit 1945 wird es im gesellschaftspolitischen Kontext gebraucht, bezogen auf die Gefahr des Erstarkens rechtsradikaler Kräfte. Aus der Warnung, die nichts an Klarheit vermissen lässt, haben wir mit den Jahren eine Redewendung werden lassen, die man mal so sagt. Passte eigentlich immer, kennzeichnete den so Redenden als besorgt, tat nicht weiter weh …

 

Zwischenzeitlich hatten wir uns gemütlich eingerichtet in einer Welt aus Selbstverständlichkeiten, staatlicher Fürsorge, dem täglichen Klein-klein in Behörden, Politik und am eigenen Arbeitsplatz, der Zeit zwischen zwei Pauschalreisen, im Reihenhaus, der 3er-2er-1er-Sitzgruppe und der alljährlichen Steuererklärung. Was sollte denn schon passieren in einem Land, in dem alles funktioniert – also: irgendwie?

 

Die vergangenen Jahre zeigen uns brutal, was passiert, wenn wir uns nicht um uns kümmern, nicht um unsere Nächsten, Übernächsten und alle anderen, die uns brauchen, nicht um unsere Demokratie und das damit verbundene Werteraster.

 

Wir leben in einer Zeit, in der uns Corona und Wirtschaftskrisen gebeutelt haben, in der „Nie wieder Krieg“ zur Farce verkommen ist und in der wir „Wehret den Anfängen“ als Aufforderung schlicht verpennt haben. Wir leben in einer anstrengend komplizierten Welt, in der sich viele nach einfachen Antworten sehnen, die es aber nicht gibt.

 

Die Melange aus Angst im Allgemeinen und Existenzängsten im Besonderen, aus Ratlosigkeit, Angst, Misstrauen, Fakenews, Kriegen, Hass, Ausgrenzung – das ist das Gebräu, an dem sich Rechtsextreme nun laben. Und nun sammeln sie - dem Wesen des Rattenfängers von Hameln gleich - mit schlichter Melodie Zuspruch ein. Die Rechtsaußen-Botschaften (ein großes Wort für leere Worthülsen) stehen in ihrer Schlichtheit so mancher populistischer BILD-Schlagzeile in nichts nach. Sie sind klebrig-einfach und einfach klebrig – so sehr, dass ihr immer mehr Menschen auf der Suche nach Antworten auf den Leim gehen. AfD & Co. (mitunter vom Verfassungsschutz beobachtet oder als gesichert verfassungsfeindlich geltend)  verbreiten Parolen, nicht etwa Problemlösungen – nicht mal im Ansatz. Beim Unwohlsein der einen lässt sich durch die anderen immer gut (miese) Stimmung machen. Die Aufgabe aller Demokraten ist nun dafür zu sorgen, dass aus Stimmung keine Stimmen werden.

 

Immer mehr Menschen gehen nun auf die Straße, in Berlin, Köln, Leipzig, München und überall sonst in Deutschland. Auch in Gütersloh setzen wir mit Kundgebungen und Demonstrationen beeindruckend Zeichen. Gut so. Aber es sind eben auch nur Zeichen.

 

Wir sind spät dran: Dass erst Potsdam mit seinen perversen „Remigrations-Plänen“ öffentlich werden musste, damit wir wach wurden, sollte uns nachdenklich machen. Und es sollte uns bewusst machen, dass es nicht nur diesen einen abgeschiedenen Platz in der Republik gibt, an dem sich Irrgelaufene derzeit jede Menge widerwärtiges Zeug ausdenken, um Deutschland in seinen Grundfesten zu erschüttern. Sollten wir uns jetzt wieder gefühlsduselig hinlegen und weiterschlummern – wir werden in einem braunen Herbst aufwachen. Ein 1933—Da capo?

 

Demokratie ist knallharte Arbeit: Argumentieren, das Kämpfen durch die Instanzen, überzeugen, ertragen, dass ein anderer Recht hat, Mehrheiten akzeptieren, immer wieder Stellung beziehen, Meinung bilden, sich (weiter-)bilden…

 

Demokratie ist keine Wellness-Oase; Demokratie bedeutet Ackern. Ackern für Deutschland. Für ein Land, das wir lieben – mit allen, die hier leben.

 

Der Schulterschluss, den auch die deutliche Mehrheit der Gütersloher Bürger nun zeigt – er darf Vorbild sein für Rats- und andere Politiker, für Kirchen (Wo sind die eigentlich, wenn man sie brauchen könnte?), für Verbände, Vereine, Gewerkschaften, Unternehmen…

 

In der Stadt gilt, was auch in ganz Deutschland richtig ist: Gütersloh kann viel mehr, als Wechselbäder in Wohlgefühl und Selbstmitleid zu nehmen. Gütersloher bestimmen, wie ihre Stadt in Zukunft tickt. Und das fängt eben im Kopf und mit Zusammenhalt an. Wehret den Anfängen – mit einem nachhaltigen Aufstand der Anständigen. Jetzt endlich.    

 

Unsere Website verwendet Cookies. Bleibst Du weiter auf unserer Website, scheinst Du nicht nur von der Seite begeistert zu sein, sondern stimmst auch der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen findest Du hier