Autor: gt!nfo
Fotos: JKG
02.06.2022
Die Schule und das System, das unsere Kinder und Jugendlichen auf das Leben vorbereiten soll, muss sich immer schneller entwickeln und anpassen. Die Gesellschaft verändert sich kontinuierlich, die Industrie, das Handwerk, die Unternehmen und die Art und Weise wie sie geführt werden sowie die Arbeitsprozesse verändern sich ständig – und die Kompetenzen, die für viele Tätigkeiten und Berufe gefordert sind, haben seit dem vergangenen Jahrhundert fast eine Metamorphose erfahren. Besonders in der Industrie und im Handwerk stellen wir fest, dass die Erwartungen der Unternehmen und das, was unsere Kinder und Jugendlichen aus der Schulzeit mitbringen, nicht mehr übereinstimmen. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen also einerseits auf die aktuellen Anforderungen in Beruf und Alltag, andererseits aber auch auf eine Zukunft vorbereiten, die wir selber noch nicht kennen oder die wir, vor allem angesichts der immer schneller werdenden technischen Entwicklungen, nur erahnen können. Passt unsere Schule noch in diesen veränderten Kontext?
Das System Schule ist in Deutschland ein rigides System, träge, fest verankert in Traditionen und Gesetzen aus vergangenen Jahrhunderten, Veränderungen sind nur schwer durchzusetzen. Das war für mich persönlich eine Situation, die ich so nicht erwartet hatte, als ich 2003 in den Schuldienst des Landes NRW eintrat. Unmittelbar davor hatte ich für eine Unternehmensberatung in Wuppertal gearbeitet. Wir begleiteten Unternehmen bei Veränderungsprozessen, führten Führungskräftetrainings durch, begleiteten QM-Maßnahmen und entwickelten gemeinsam mit den Mitarbeitenden Unternehmenswerte. Insgesamt also Tätigkeiten, die ein agiles, auf die jeweiligen Unternehmen angepasstes Handeln erforderten. Und genau das ist auch für unsere Schulen jetzt ganz dringend notwendig.
Um Rahmenbedingungen für eine Schule zu entwickeln, die zu einer sich sehr schnell verändernden Welt passt, muss man sich meiner Meinung nach zunächst mit folgenden Fragen befassen:
Was erwarten wir von den jungen Menschen, wenn sie die Schule verlassen?
Sie:
- kennen und schätzen die Rechte und Pflichten einer demokratischen Gesellschaft und setzen diese um
- respektieren und schützen Klima und Umwelt
- tragen positiv zur Gesellschaft bei, zeigen Engagement und übernehmen Verantwortung
- haben die notwendigen Lebens- und Arbeitskompetenzen, um selbstbewusst und zuversichtlich den sich sehr schnell verändernden Alltag gestalten zu können
- bewältigen Frustrationen, gestalten Veränderungen und zeigen Resilienz
Was müssen wir den Lernenden vermitteln, damit sie diese Erwartungen erfüllen können?
Wir müssen:
- die jeweils aktuellen Technologien sinnvoll in den Unterricht integrieren und die Lernenden in deren Nutzung schulen. Dazu gehören auch der kritische Umgang mit Informationen aus dem Internet sowie mit sozialen Medien. (Stichworte: Digitalität und Medienkompetenz)
- den Schülerinnen und Schülern Kompetenzen vermitteln, die sie zu einem lebenslangen, bewussten Lernen befähigen. Dazu gehört Lösungs- und Ressourcenorientierung sowie Selbständigkeit (Stichwort: Life long learning skills)
- die Lernenden befähigen, mit ständigen Veränderungsprozessen umzugehen und diese möglichst mit zu gestalten (Stichwort: Change Management)
- die Schülerinnen und Schüler ermutigen, die Verantwortung für ihren eigenen Erfolg, aber auch Misserfolg zu übernehmen und sie dabei begleiten, individuelle Lernprozesse zu planen und Lösungen zu finden (Stichwort: Selbstgesteuertes Lernen)
Wie können wir diese Anforderungen erfüllen und was davon wird schon umgesetzt?
Die oben formulierten Anforderungen sind sicherlich nicht neu, dennoch ist es sinnvoll, sie, um eine Vision zu entwickeln, noch einmal auf den Punkt zu bringen. Meine persönliche Vision mit einem deutlichen Machbarkeitsfilter sieht folgendermaßen aus:
· Integrierte, selbstverständliche Nutzung aktueller Technologien
Tablets in 1:1-Ausstattung, Smartboards, Lernplattformen
· Fokus auf projektorientiertes Arbeiten, Lernraum
Prozessorientierung, Vermittlung der oben genannten Kompetenzen, selbstgesteuertes Lernen, kleine Gruppen, viele Räume, Werkstätten, Lehrkräfte als Coach
· Flexibilität in der Bewertung von Leistungen
Kritisches Überdenken der momentanen Prüfungs-, Bewertungs- und Notenkultur. Lernende wählen ihr zu bewertendes Produkt
· Schule als Lernraum: Die Schülerinnen und Schüler gestalten ihren individuellen Schultag
Keine festen Stunden, Unterrichtsfächer neu denken, Schülerinnen und Schüler planen ihren Unterricht entsprechend der zu erfüllenden Aufgaben
An der JKG unternehmen wir seit vielen Jahren alles, um den heutigen Anforderungen an Unterricht und Schule zu entsprechen. Einiges ist auch in den zu Beginn genannten, starren Strukturen möglich, andere Aspekte wären relativ schnell umsetzbar (zum Beispiel Räume!!!). Ein echtes visionäres Weiterdenken bedeutet das konsequente Durchbrechen der alten, rigiden Systeme. Gespräche mit Freunden aus Kanada, Finnland und Schweden machen immer wieder Mut zum Aufbruch, allerdings wird der Prozess bei uns vermutlich nur viel länger dauern als ich dachte.
Zur Person
Heidrun Elbracht ist Schulleiterin der Janusz Korczak-Gesamtschule in Gütersloh (JKG).