Autor: gt!nfo
Fotos: gt!nfo
01.04.2022
Immer wieder, wenn ich etwas Schönes erlebe, die ersten Frühlingstage genieße oder einfach einen netten Abend mit der Familie oder Freunden habe, schleicht sich ganz schnell das Gefühl einer großen Schwere an: Kann ich es mir überhaupt gut gehen lassen, wenn nur einige Kilometer weiter Krieg herrscht?
Hinzu kommen die vielen offenen Fragen, die ich mir stelle. Friedensbewegt war ich der Überzeugung, dass Waffenlieferungen grundsätzlich nicht gehen, erst recht nicht in Kriegsgebiete. Und militärische Stärke konnte nach meiner Auffassung nie ein Weg sein, um Frieden zu schaffen. Nie! Lieber sollte der Staat das Geld in zivile Mittel der Konfliktbeilegung, in humanitäre Hilfe, Entwicklung und die Bewältigung der Klimakrise stecken als in die Rüstung. Eigentlich denke ich auch immer noch so und halte die 100 Milliarden für die Bundeswehr für falsch – und doch bin ich mir in manchem unsicher geworden. „Das Friedenstäubchen kommt mir abhanden“, hatte der BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken kürzlich in einem Interview gesagt.
Doch zurück zu meiner Aufgabe: Hoffnungsvolles zum Frieden finden. Ich mache mich auf die Suche.
Als erstes fallen mir Bilder eines verrückten Mutes in der Ukraine ein, so wie dieses: Da stellen sich Omas den anrollenden russischen Soldaten in den Weg und schreien ihnen zu, sie sollen wieder verschwinden. Wahnsinn!
Dann beeindrucken mich die Menschen in Russland, die sich trauen, auf die Straße zu gehen. Es gibt Proteste von Wissenschaftlern, Künstlerinnen, Künstlern und so vielen anderen. Übrigens auch von einer ganzen Reihe von Priestern – leider eine Minderheit in der russisch-orthodoxen Kirche, deren Spitze treu zu Putin steht und den Namen Gottes dafür missbraucht. Es ist ja nicht so, dass das russische Volk das ukrainische Volk überfällt. Es ist wichtig, genau hinzuschauen. Für die Herrscher-Clique in Russland wäre es ein leichtes Spiel, wenn wir uns zu einem Feinddenken gegen alle Russinnen und Russen verleiten ließen. Das gilt übrigens auch hier bei uns – für unseren Umgang mit Menschen, die aus Russland kommen.
Das führt mich zu der spirituellen Frage, wie weit wir unser Herz von Hass und Angst besetzen lassen.
Die Übung – und ich sage bewusst „Übung“, so wie beim Sport oder beim Musiklernen – die Übung also ist es, die Menschlichkeit und, ja, auch die Liebe, in unserem Herzen zu bewahren. Mit einem berührbaren Herzen können wir uns mit denen verbinden, die Schreckliches erleben und Angst haben. Und auch mit denen, die sich für Frieden einsetzen, wie und wo auch immer. Für mich als Christ ist das Gebet der Ort für diese Übung. Für andere mag es andere Wege geben. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass das ein wesentlicher Beitrag für den Frieden in der Welt ist.
Aber natürlich braucht es auch tatkräftigen Einsatz. Mir machen die vielen Menschen Mut, die Hilfe organisieren. Da bieten Leute Fahrdienste von der ukrainischen Grenze an. Andere überlegen, Flüchtlinge im eigenen Haus aufzunehmen. Menschen kommen zu Bahnhöfen, um den Ankommenden einen warmen Empfang zu bereiten. Kulturschaffende in unserer Stadt Gütersloh organisieren ein Friedenskonzert.
Ein kleiner bitterer Gedanke bleibt jedoch: Wenn ich von unserem Bürgermeister höre, die Haltung und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung sei ganz anders als 2015, dann frage ich mich: Wieso geht das bei den Europäern aus der Ukraine und nicht bei Flüchtlingen aus anderen Kriegsgebieten. Die Kriege dort sind nicht weniger schrecklich. Und die Menschen, die davor fliehen, sind auch auf unsere Hilfe angewiesen.
Zu Ostern feiern wir Christen, dass die verletzliche Liebe und die Kraft des Lebens stärker sind als alle Mächte von Hass und Zerstörung.
Und indem ich dies schreibe, habe ich schon Sorge, dass das angesichts der Grausamkeit des Krieges zu einer Floskel werden könnte. Doch wir erinnern an Ostern ja gerade an einen Menschen, der Opfer eines ungerechten Gewaltverbrechens geworden ist. Mit dem Tod von Jesus schienen Übermacht und Triumph der Herrschereliten so offensichtlich. Und dann geschah etwas, das wir das Geheimnis der Auferstehung nennen. Die versprengten und verängstigten Menschen der Jesusbewegung fühlten neuen Mut, taten sich zusammen und führten das weiter, was Jesus begonnen hatte – in seinem Geist und im Herzen die Hoffnung auf ein anderes gerechtes und friedliches Zusammenleben.
Manchen mag die christliche Ostererzählung als Hoffnung für den Frieden fremd sein. Für sie – und für uns alle – schreibe ich das berührende Lied von Schalom Ben-Chorim auf, dass die erwachende Natur zum Bild der Hoffnung auf Frieden nimmt:
„Freunde, dass der Mandelzweig, wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trüben Zeit. Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig, sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.“
Schalom Ben-Chorim