„Ich möchte ein positives Beispiel geben“

Markus Corsmeyer

Autor: Markus Corsmeyer

Fotos: Wolfgang Sauer

02.06.2022

Ein kleiner Zwischenstopp in der gt!nfo-Redaktion bei einem Besuch in Gütersloh: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas im Dialog mit Markus Corsmeyer. Die SPD-Politikerin spricht offen über ihre Leidenschaft zum Fußball, junge Politikerinnen und Politiker im Parlament, Frauen in der Politik und die notwendige Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages. Das alles – und noch einiges mehr – in der Episode 9 unseres Podcasts 4830. Wir haben einige Auszüge aus dem Gespräch, das wir am 2. Mai geführt haben, für unsere Leser und Leserinnen gekürzt zusammengestellt.


 

Frau Bas, was sagt Ihnen die Zahlenkombination 4830?

 

Wenn es sich um eine vierstellige Zahlenkombination handelt, kann ich mir vorstellen, dass es eine alte Postleitzahl ist …

 

Wir haben erfahren, dass Sie generell Fan des Podcast-Formats sind. Sie waren auch Gast in einem legendären Podcast von Arnd Zeigler: „Ball you need is love“. Dort haben Sie einen coolen Spruch „rausgehauen“: „Wer nicht verlieren kann, wird Bayern-Fan.“ Wieso sind Sie bei so einem Fußball-Podcast an den Start gegangen?

 

Ich bin bekanntermaßen ein langjähriger Fan vom MSV Duisburg, der uns aktuell leider eine gewisse Leidensfähigkeit abverlangt, und habe auch selbst in meiner Jugend Fußball gespielt – zu einer Zeit, in der Frauenfußball nicht ganz so stark und attraktiv war. So sind wir dazu gekommen, einfach mal über Fußball und den MSV Duisburg, der ja auch ein Traditionsverein ist, zu plaudern. Der Bayern-Spruch ist Lars Klingbeil geschuldet, weil wir auch gerne über Fußball frotzeln, er FC Bayern-Fan ist und dort im Aufsichtsrat angekommen ist. 

 

Sind Sie als Bundestagspräsidentin nicht auch in so einem Bereich zur Neutralität verpflichtet?

 

Ich habe anschließend ein paar E-Mails bekommen, aber das war es mir wert …

 

Im Fußball braucht man gewisse Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Kondition und Teamfähigkeit. Hat Sie das auch für Ihre Arbeit als Bundestagpräsidentin gestärkt?

 

Es stärkt auf jeden Fall, Fußball in einem Team gespielt zu haben, weil man dort lernt, dass man zusammenarbeiten muss. Einzelkünstler, die es auch im Sport gibt, helfen nur bedingt. Man braucht den einen oder anderen Star, aber am Ende funktioniert es nur gemeinsam. Das nehme ich mit in mein Bundestagspräsidium. Dort habe ich mehrere Stellvertreterinnen und einen Stellvertreter. Wir müssen uns dort abstimmen und gut zusammenarbeiten.

 

Machen junge Politiker und Politikerinnen mehr politischen Druck, und forcieren Sie mehr als die Arrivierten im Bundestag?

 

Druck können Sie nur aufbauen, wenn es mehr von ihnen gibt. Ein Einzelner schafft das nie alleine. Die Jungen bringen aber neue Themen und andere Sichtweisen mit ein. Es ist anders, wenn junge Leute ihre eigene Lebenswelt und Philosophie mitbringen. Wir haben jetzt einen Bundestag mit 40 Prozent neuen Abgeordneten aller Altersgruppen, aber eben auch einen großen Bereich mit jungen Leuten. Sie gehen mit Themen ganz anders um – mal locker, mal intensiv: Das braucht ein Parlament …

 

Werden junge Politiker und Politikerinnen ernst genommen?

 

Jugend bietet nicht automatisch Qualität. Es muss auch etwas dahinterstehen. Ein Parlament muss alle Altersgruppen und alle Gehaltsschichten widerspiegeln. Es funktioniert nicht immer, deshalb haben wir ja auch eine repräsentative Demokratie, weil wir Abgeordneten in der Lage sind, uns in andere Themenwelten einzudenken und mit in die Politik zu nehmen. Ich gebe den jungen Kollegen und Kolleginnen immer einen Tipp: „Wenn ihr früh ins Parlament kommt, denkt trotzdem daran, euch beruflich nebenbei zu orientieren.“ Man muss als junger Mensch wissen, dass man nie ein Leben lang im Parlament ist. Man sollte eine berufliche Alternative haben und darf sich nicht vom Mandat abhängig machen.

 

Stand es auf Ihrem „Zettel“, Bundestagspräsidentin zu werden? War es schon immer Ihr ausgesprochener Wunsch?

 

Wenn man in den Bundestag kommt, hat man ein Traumziel: Man möchte Minister oder Ministerin werden. Ich habe aber nie gedacht, Bundestagspräsidentin zu werden, das hatte ich nicht im Fokus.

 

Sie haben einen Hauptschulabschluss und sind eine der wenigen, die im Deutschen Bundestag mit so einem Schulabschluss eine so exponierte Position bekleiden …

 

Eigentlich dürfte das nichts Besonderes sein. Ein Bildungsweg muss für jeden offen sein. Ich möchte ein positives Beispiel geben, dass man sich immer weiter entwickeln kann – und dass man von der Hauptschule bis ins Amt der Bundestagspräsidentin kommen kann.

 

Hat es das Parlament verändert, dass so viele junge Politiker und Politikerinnen im Parlament sind?

 

Der Bundestag ist nicht nur jünger, sondern auch diverser geworden. Viele Abgeordnete haben einen Migrationshintergrund. Das tut dem Parlament gut, aber auch den Menschen, die sich durch die Kollegen und Kolleginnen repräsentiert fühlen sollen. Es werden viel mehr gesellschaftliche Gruppen repräsentiert, und es ist wichtig, die Gesellschaft widerzuspiegeln. Es ist grundsätzlich wichtig, dass immer wieder neue und junge Menschen ins Parlament gespült werden.

 

Wie neutral müssen Sie sein? Anders gefragt: Was kann, darf und muss eine Bundestagspräsidentin?

 

Der Grundsatz lautet: Ich bin für alle Abgeordneten da. Ich kann und darf keine Fraktion schlechter behandeln als die andere. Ich vertrete alle Abgeordneten, das ist meine repräsentative Aufgabe. Auf der anderen Seite bin ich natürlich SPD-Abgeordnete in meinem Wahlkreis in Duisburg. Wenn ich repräsentative Aufgaben habe, vertrete ich den ganzen Deutschen Bundestag. Das sind 736 Abgeordnete, die Wert darauf legen, dass ich neutral bin.

 

Sie wollen für alle Abgeordneten da sein. Das stelle ich mir schwierig vor …

 

Das ist schon eine Herausforderung. Natürlich ist es nicht immer einfach. Es ist unsere Aufgabe im Präsidium, genau aufzupassen, dass das Parlament nicht nach außen hin geschädigt wird oder dass man sich gegenseitig beschimpft. Manchmal ist auch keine Neutralität mehr geboten – dann hat man einzugreifen.

 

Wie weit geht denn die Meinungsfreiheit im Parlament? Sie hat sicherlich auch ihre Grenzen – oder?

Ja, sie hat auch ihre Grenzen. Sollte die SPD-Fraktion zum Beispiel geschlossen mit den gleichen T-Shirts, auf dem ein politischer Spruch stünde, im Parlament auftauchen, wäre das eine politische Aktion – das müsste ich sofort unterbinden. Sollten sie sich dann nicht fügen, müsste ich sie aus dem Sitzungsbetrieb ausschließen. Das ist natürlich nur ein Beispiel, denn das macht meine Fraktion natürlich nicht. Wir haben einige Ordnungsmöglichkeiten, um zu disziplinieren, wenn es sein muss.

 

Haben Sie eine eigene Handschrift als Bundestagspräsidentin? Sie kommen ja aus dem Ruhrgebiet …

 

Ich habe eine deutliche Sprache und kann auch mal jemanden zurechtweisen. Jeder hat seine eigene Art. Ich habe einen gewissen Ruhrgebietshumor, den ich in der Sitzungsleitung gelegentlich nutze, damit es nicht ganz so verkrampft wird. Es soll natürlich nicht jeden Tag passieren. Auf eine schwierige Situation kann man auch mal locker oder mit einem kleinen Schmunzeln reagieren.

 

Wie hat das Amt ihr politisches und privates Leben verändert?

 

Ich war lange Zeit Gesundheitspolitikerin und muss mich etwas zurücknehmen. Ich bin jetzt dankbar, eine andere Aufgabe zu haben, die mich sehr fordert. Zu meiner persönlichen Situation: Früher bin ich in den Urlaub gefahren – und es hat niemand bemerkt. Jetzt lande ich dann schon mal in der Presse, und am Nebentisch sitzen auch immer Menschen, die rätseln, ob ich es tatsächlich bin. Das ist eine gewisse Einschränkung bis hin zum Personenschutz bei Veranstaltungen.

 

Sie sind als dritte Frau in das zweithöchste Amt Deutschland gewählt worden. Was bedeutet das für die Frauen in unserer Demokratie?

 

Ich hoffe, dass es eine große Bedeutung hat. Es tut der Gesellschaft gut, wenn man sieht, dass eine Frau auch Verantwortung in einer so hohen Position trägt. Wichtig ist es, mit gutem Beispiel voranzugehen und zu zeigen, dass man es als Frau schaffen kann.

 

Es gibt 736 Abgeordnete im Bundestag. Das Parlament platzt aus allen Nähten. Wie steht es um die von Ihnen geforderte Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages.?

 

Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt, wieder eine neue Kommission einzuberufen. Ich habe sie konstituiert. Im August soll ein Zwischenbericht vorgelegt werden. Ich hoffe, dass wir dann tatsächlich zu einer Reform kommen. Es kann nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, wenn Sie ihr Kreuz gemacht haben, wie groß dieser Bundestag wird. Dieses Parlament muss verkleinert werden, es ist gerade noch arbeitsfähig. Wir haben im Abgeordnetengesetz die Zahl 598 – und die sollten wir wieder annähernd durch eine Reform erreichen. Es liegen alle Vorschläge auf dem Tisch, jetzt muss eine Entscheidung getroffen werden.

 

Das gesamte Gespräch können Sie in unserem Podcast 4830 auf Apple Podcasts, Spotify und Google Podcasts hören.

 


 

 

 

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