Entschleuniger mit Vergangenheit

Autor: Thorsten Wagner-Conert

Fotos: Thorsten Wagner-Conert

15.04.2021

Text und Fotos: Thorsten Wagner-Conert


Der Gütersloher Postdamm ist die historische Verbindung zwischen der Stadt und dem Ortsteil Isselhorst. Und er ist ein Stimmungsmacher, ein Entschleuniger im wahren Wortsinn. Das liegt einerseits an der verkehrspolitischen Tatsache, dass man aus ihm vor knapp zwei Jahren eine Fahrradstraße machte. Andererseits aber kommt man hier zwischen hohen Bäumen und weiten Feldern einfach gut runter – und man denkt unweigerlich an die Schönheit typisch westfälischer Landschaften.


Ungefähr auf der Hälfte der Strecke gibt es noch mehr Historisches, das in normalen Zeiten Familien mit Kindern, Menschen mit Modelleisenbahn-Vergangenheit und verhinderte Lokführer in seinen Bann zieht: Hier nämlich ist seit den frühen 1970er-Jahren der Verein Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth zuhause, weil Eisenbahnfreunde aus dem Ruhrgebiet eine Einsatzmöglichkeit für ihre von einem Schrotthändler gekaufte Dampflok gesucht hatten. Ausgerechnet hier fanden sie – vermittelt durch einen weiteren Eisenbahnfan – das passende Grundstück für ihr raumgreifendes Hobby.


Nach viel schweißvoller Arbeit im Gleisbau und bei der Herstellung originalgetreuer Personenwagen zum Beispiel drehte im Juni 1973 der erste Personenzug am Postdamm seine Runden und transportierte im ersten Betriebsjahr 17.000 Fahrgäste.


Der Bestand des Vereins wuchs schnell um weitere Loks und Waggons, die alle ihre eigene Geschichte erzählen und die mittlerweile Generationen von Besuchern in eine andere Welt unter Dampf abtauchen ließen.


Warum der fantastische Ort ein Hidden Place ist? Weil er erst auf den zweiten Blick viele Entdeckungen möglich macht: Kleine Details der Eisenbahngeschichte zwischen den Haltepunkten Kleinbahnhof, Bahnhof Rödelheim, Bahnhof Postdamm und Bahnhof Forst versetzen Hobbybahner in eine Zeit vor 100 Jahren – und sie reizen Fotografen. Liebevoll und akribisch haben die Mitglieder des Vereins Richtungsanzeiger, Signale, Fahrkartenhäuschen und Schuppen in die Strecke integriert.


Während des Fahrbetriebs an den Wochenenden (außerhalb der Corona-Krise) erzählen die Ehrenamtler gern über ihr Hobby und über die Herkunft jeder einzelnen Lok dieser deutschlandweit einmaligen Sammlung. Tatsächlich stammen viele Lokomotiven aus der ehemaligen DDR; das originär Westfälischste ist an dieser Adresse wohl der leckere Pickert, den der Gasthof Mühlenstroth anbietet.


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Zukunft Geschichte(n)

Und die Geschichte geht weiter: Der Verein hat sich auf den Weg gemacht zum Westfälischen Kleinbahn- und Dampflokmuseum. Zwischen dem Verein Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth und der Walter Seidensticker Eisenbahn Stiftung entstand die Idee 2016 zu einem regionalgeschichtlichen Eisenbahnmuseum. Vier Loks aus der Stiftung, eine Motordraisine, ein geschlossener Güterwagen und ein Schlepptender sind bereits am Postdamm angekommen. Die Übernahme der Stiftung ist fest vereinbart und die Ausstellungshalle für das künftige Museum im Werden.


Zu einem Revival kommen auf dem Museumsgelände übrigens auch die alten Steine der frisch sanierten Haller Straße in Isselhorst. Aber die sind nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was sich der Verein insgesamt vorgenommen hat: 540.000 Euro wird er für seine kommende Halle ausgeben – und er freut sich, wenn Spender etwas zum großen Ganzen beitragen.


Die Saison 2020 war für die Dampf-Kleinbahn Mühlenstroth aus bekannten Gründen insgesamt ins Wasser gefallen. Die Sommersaison 2021 steht noch auf sehr wackligen Füßen – aber die Arbeiten gehen weiter: Arbeiten an der Zukunft der Geschichte(n) rund um die Dampfeisenbahn. Bitte einsteigen…



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