Moment mal: Queer ist Vielfalt

Autor: gt!nfo

Fotos: Stadt Gütersloh

15.04.2021

Serie

Moment mal!






Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strich 1990 Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel für Krankheiten. Vier Jahre später wurde der § 175, auch Schwulenparagraf genannt, ersatzlos im deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen männlichen Personen seit der Einführung im Jahr 1871 im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches unter Strafe. In der Zeit wurde schätzungsweise gegen 100.000 Männer ermittelt. Einige verloren ihre Arbeit, ihre Familie landeten im Gefängnis oder mussten mit ihrem Leben im Konzentrationslager büßen. Erst 2017 beschloss die Bundesrepublik ein Gesetz zur Rehabilitierung aller Opfer des Paragrafen.

2006 trat das Antidiskriminierungsgesetz in Kraft. Es besagt, dass ein Mensch nicht wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Spätestens seit der deutschen Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2017 ist das Thema in der Öffentlichkeit stärker präsent, doch noch immer gibt es Vorurteile und homophobe Menschen.

Die Diskriminierung ist noch nicht vorbei, doch es ist Besserung in Sicht. Seit dem ersten Christopher Street Day (CSD) in 1970 hat sich schon Einiges in der Gesellschaft getan. Im Februar outeten sich 185 Homosexuelle Schauspieler*innen unter dem #actout. Ihre Aussage ist klar: "Wir sind hier und wir sind viele". Sie stoßen eine Debatte an, die sonst selten geführt wird und zeigen auf, dass ihnen von einem Outing abgeraten wird, da es berufliche Nachteile mit sich bringt.


Wenn sich Erwachsene Menschen lieber nicht outen sollen, wie sieht es dann bei Heranwachsenden Menschen vor Ort aus?


Ich habe diese und weitere Fragen Nina Hügle (41) gestellt. Die verheiratete Diplom-Pädagogin leitet seit 2013 den inklusiven Jugendtreff der SJD – Die Falken – KV Gütersloh und war maßgeblich an der Entwicklung des Konzeptes zum „Frei:Raum17“ beteiligt. 2017 hat sie den „Queer-Treff Gütersloh“ gemeinsam mit engagierten Ehrenamtlichen gegründet.  


Was genau kann man sich unter dem Angebot „Queer-Treff“ im „Frei:Raum17“ vorstellen?

Nina Hügle

Der „Queer-Treff“ ist eine Anlaufstelle und ein Begegnungsort für alle interessierten LSBTTIAQ-Jugendlichen ab 14 Jahren. Die Buchstabenkombination LSBTTIAQ steht für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender, Transsexuell, Intergeschlechtlich, Asexuell und Queer. In der Community werden hiermit sexuelle und geschlechtliche Identitäten zusammengefasst, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Der Begriff „Queer“ wird heute auch als Sammelbezeichnung für die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft verwendet.

Mit dem Angebot des „Queer-Treffs“ haben wir innerhalb des „Frei:Raum17“ einen Schutzraum für queere Jugendliche außerhalb der regulären Öffnungszeiten ins Leben gerufen, in dem sich Heranwachsende in einem geschützten Rahmen treffen, spielen, austauschen oder auch kochen können. Es geht hierbei nicht um ein therapeutisches Angebot, sondern um die pädagogische Förderung und Unterstützung der individuellen Entwicklung der Teilnehmer*innen. LSBTTIAQ-Jugendliche erleben oftmals Mobbing, Diskriminierung und Ausgrenzung und fühlen sich dadurch oft in der Minderheit. Der „Queer-Treff“ stellt insofern einen absoluten Gegenpol dar, weil hier Vielfalt als Normalität gilt, gelebt wird und sie sich entgegen ihrer Erlebniswelt in der Mehrheit befinden.


Welche sind die Arbeitsschwerpunkte im Queer-Treff Team?

Nina Hügle

Wir wollen den Teilnehmer*innen Möglichkeit anbieten, eigene Ideen der Programmgestaltung kreativ einbringen zu können. Uns ist es sehr wichtig, den Jugendlichen den Freiraum zu geben, über diverse, inhaltliche Themen oder Probleme in diesem „Safespace“ sprechen zu können, aber eben auch alltägliches Zusammensein mit Spiel und Spaß zu erleben. Ein immens bedeutender Arbeitsschwerpunkt stellt dabei auch das unterstützende Beratungsangebot, Krisenintervention, Projekt- und Netzwerkarbeit und die generelle, außerschulische Bildungsarbeit dar. Wir bieten beispielsweise regelmäßig Empowerment-Workshops an, in denen die Selbstbestimmung, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewußtsein gestärkt werden. Diese Art derStabilisierung ist gerade während der individuellen Entwicklungsphasen der LSBTTIAQ-Jugendlichen von elementarer Bedeutung. Dank der Förderung der Stadt Gütersloh ist es uns überhaupt möglich, unsere Arbeitsschwerpunkte in dem benötigten Umfang umzusetzen. Die Stadt hat damit ein sehr wichtiges Zeichen für Vielfalt und Akzeptanz gesetzt.


Wie hat sich die Arbeit seit Beginn der Pandemie verändert? 

Nina Hügle

Bereits seit dem ersten Lockdown haben wir unser Programm in kontaktfreie Angebote umgewandelt. Durch telefonische Beratungsgespräche und gemeinsame Zoom-Meetings haben wir den persönlichen Kontakt und den virtuellen Austausch in der Gruppe versucht kontinuierlich aufrecht zu erhalten. Mit Beginn der Pandemie ist der Bedarf an persönlicher Beratung und Begleitung unserer Besucher*innen sehr gestiegen. Die sensible Thematik der sexuellen Identitätsfindung und die Begleitung von den „inneren“ und „äußeren“ Outingprozessen der Jugendlichen stellt im Moment wirklich eine besondere Herausforderung dar.


Was genau sind „inneren“ und „äußeren“ Outingprozesse?

Nina Hügle

Das „Coming-Out“ als solches meint den Schritt, die eigene geschlechtliche oder sexuelle Identität, die von der Heteronormativität einer Gesellschaft abweicht, anzunehmen und zu leben. Der „innere“ Outingprozess beschreibt den Vorgang der Selbstakzeptanz, das „äußere“ Coming-Out ist der mutige Schritt, andere Menschen über die geschlechtliche Identität zu informieren. Sie müssen sich jedoch vorstellen, dass es für LSBTTIAQ-Jugendliche manchmal schon eine Barriere sein kann, den Queer-Treff zu besuchen und wir aus diesem Grund besonders empathisch und vorsichtig diesen inneren Prozess unterstützen. Kurz gesagt es ist Niemand zu keiner Zeit gezwungen, sich überhaupt zu outen.

 

Welche positiven Momente sind Ihnen seit der Gründung des Queer-Treffs im Kopf geblieben?

Nina Hügle

Besondere Highlights der letzten Jahre waren zum Beispiel die aktive Teilnahme am „Christopher Street Day“ 2018 und 2019 in Köln, wo wir gemeinsam mit der „Queeren Jugend NRW“ im Straßenzug ein Zeichen für Vielfalt setzen konnten. Seit drei Jahren freuen wir uns sehr, ein Teil des Trägerbündnisses „Gütersloh (ver-)liebt sich“ sein zu können und auch hier war 2019 ein weiteres Highlight der erste Mini-Pride-March durch Gütersloh, den die Jugendlichen selbst geplant und organisiert haben.


INFO

Queer-Treff auf Instagram:

@queertreff-gt

@freiraum17

Email:

queertreff-gt@web.de

freiraum17@web.de

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