Luft nach oben

Fotos: Sybil

08.03.2024

 

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist das ein Feiertag. Aber was genau gibt es eigentlich zu feiern, wenn Frauen im Schnitt immer noch weniger verdienen als Männer, wenn Frauen noch immer der Großteil der Kinder-Erziehung zufällt, wenn Altersarmut vor allem Frauen betrifft. gt!nfo hat bei Inge Trame, seit 1992 Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gütersloh, nachgefragt, ob sie in Feierlaune ist. 

 

 

Hand aufs Herz, Frau Trame: Wozu brauchen wir heute noch eine Gleichstellungsstelle?

 

Inge Trame: Eine Untersuchung hat ergeben, dass wir noch etwa 100 Jahre brauchen bis zur Gleichstellung, wenn wir in diesem Tempo weitermachen. Ich hoffe nicht, dass wir so lange brauchen, bis wir den Equal Pay Gap – die Lohnlücke bei der Bezahlung von Männern und Frauen – beseitigt haben. Aber was ich damit sagen will: Wir haben einiges erreicht in den vergangenen 30 Jahren, aber wir sind noch weit entfernt von der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Es gibt noch so viele Themen mit Handlungsbedarf: im Bildungs- und im Arbeitsleben, die Altersarmut, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frauen sind häufiger von Gewalterfahrungen, sexueller Belästigung und alltäglichem Sexismus betroffen, es gibt nach wie vor Geschlechterstereotype und Rollenklischees, die die Entfaltung von Stärken und Interessen von Mädchen, aber auch von Jungen behindern.

 

Und das trotz fast 40 Jahren Gleichstellungsstelle in Gütersloh…

 

Inge Trame: Die Gleichstellungsstellen können sensibilisieren, auf Missstände hinweisen und zur Verbesserung beitragen, aber die strukturelle Diskriminierung können wir nicht ändern – wenn es zum Beispiel um die gleiche Bezahlung geht. Wichtig ist es auch, dass wir die Erfolge, die erreicht worden sind, erhalten. Denn manchmal erscheint es mir, als seien gerade wieder traditionelle Rollenmuster auf dem Vormarsch. 

 

Was hat Alice Schwarzer falsch gemacht?


Inge Trame: Alice Schwarzer ist eine vielschichtige, schillernde, humorvolle Frau. Für die Frauenbewegung hat sie unglaublich viel geleistet. Allerdings konnte sie nicht vermitteln. Durch ihre polarisierende Haltung zu den Themen „Kopftuch“, „Prostitution“ oder „Queer-Feminismus“, hat sie in der jüngeren Vergangenheit keine gesellschaftspolitischen Impulse zur Weiterentwicklung der" Frauen- Geschlechterfrage" liefern können.

 

Was ist besser geworden in den vergangenen gut 30 Jahren?

 

Inge Trame: Wie schon gesagt: Überall ist noch Luft nach oben. Aber im Vergleich zu den Achtziger Jahren sind heute Konstellationen selbstverständlich, die damals noch „exotisch“ waren: Frauen in der Feuerwehr zum Beispiel oder Männer als Erzieher in Kitas. Frauen in Führungspositionen sind keine Exotinnen mehr. Da sind wir auf gutem Weg, wenn auch noch lange nicht bei pari pari. Auch flexible Arbeitszeiten gehören zu den positiven Veränderungen. Seit 2005 hat sich der Gender Time Gap, der die Lücke der geleisteten Erwerbsstunden zwischen Männern und Frauen definiert, alljährlich verringert. Allerdings arbeitet aktuell nach wie vor fast jede zweite Frau (46 Prozent), aber nur elf Prozent der Männer in Teilzeit.

 

Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ ist ein anderes Beispiel für Veränderung. Das ist kein Tabu mehr. Darüber wird offener gesprochen. Es gibt viele Aktionen wie den Orange Day oder One Billion Rising, die dieses Thema in den Blickpunkt stellen. Auch das Anzeigenverhalten hat sich verändert. 

 

Und welche Wünsche bleiben offen?

 

Inge Trame: Neben allem, was ich am Anfang gesagt habe, würde ich mir wünschen, dass die politischen Gremien paritätisch besetzt sind. Wir haben zusammen mit anderen Gleichstellungsstellen die Kampagne „Frau.Macht.Politik“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, mehr Frauen in die Kommunalpolitik zu bringen. Frauen müssen die Entwicklung ihrer Stadt mitgestalten und mitentscheiden, denn das betrifft ihr soziales Umfeld – Kindergärten, öffentliche Plätze, Klima.

 

Und warum sind es noch immer weniger Frauen, die einen Platz im Stadtrat haben?

 

Inge Trame: Unter anderem sollte man die Rahmenbedingungen kritisch hinterfragen. Warum müssen Sitzungen so lang sein, warum am Abend stattfinden? Könnten Redezeiten oder Sitzungsdauer begrenzt werden, ist eine andere Kultur der Wertschätzung nötig? Im Austausch mit anderen Städten suchen wir nach alternativen  Modellen. Gestalten muss hier allerdings letztlich die Politik, die Gleichstellungsstelle kann hier nur Anregungen geben.

 

Weitere Wünsche?

 

Inge Trame: Dass  die Fraueninfrastruktur in unserer Stadt weiter so unterstützt wird wie in der Vergangenheit. Dass wir die Standards halten, die Beratungsangebote und die Plätze im Frauenhaus…

 

Frauen, die das Gütersloher Frauenhaus aufsuchen und  keinen Anspruch auf Erstattung haben, müssen  einen Tagessatz von rund 50 Euro für den Aufenthalt zahlen. Das ist nicht wenig für Hilfe in einer unmittelbaren Notlage. Hat die Gleichstellungsstelle auf solche Sätze einen Einfluss?

 

Inge Trame: Die Finanzierung der Frauenhäuser ist generell unbefriedigend. Es gibt unterschiedliche Modelle in Bund, Land und auch in Ostwestfalen. Auf Bundesebene setzen wir uns für einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern und Kostenübernahme des Gewaltschutzes ein. Stand der Dinge ist, dass an einem Referentenentwurf gearbeitet wird, und wir hoffen, dass es in dieser Legislaturperiode zu einem Gesetz kommt.

 

Sie selbst sind auch auf Bundesebene aktiv?

 

Inge Trame: Meine Wahlzeit auf Bundesebene ist – so ist das geregelt -  nach zwei Legislaturperioden plus Verlängerung wegen Corona seit 2021vorbei. Aber ich bin weiterhin im Gleichstellungsausschuss des Städte- und Gemeindebundes sowie beim Deutschen Städtetag im Frauen- und Gleichstellungsausschuss aktiv. Das ist wichtig, um sich zu vernetzen und die kommunale Ebene zu vertreten.

 

 Wo steht Gütersloh im Vergleich mit anderen Kommunen?

 

Inge Trame: In der Ausstattung der Gleichstellungsstelle sind wir so im Mittelfeld und personell nicht so besonders gut ausgestattet. Aber der Stadt ist zugute zu halten, dass sie bereits 1987 ohne gesetzliche Vorgaben eine Gleichstellungsstelle eingerichtet hat. Es gab immer eine große Frauensolidarität, und von daher war die Einordnung in Politik immer gut. Aber wir sind auf dem Status Quo von damals stehengeblieben. Die Stadt ist gewachsen, die Aufgaben sind gewachsen, aber wir hatten und haben zwei Stellen.

 

Es gab immer wieder auch politische Diskussionen um das Aufgabenportfolio der Gleichstellungsstelle. Welche Aufgaben sind hinzugekommen?

 

Inge Trame: Die Themenvielfalt ist wesentlich breiter geworden und mit ihr die Gleichstellungsrelevanz. Nehmen Sie zum Beispiel das Klimaschutzkonzept. Kein Thema für die Gleichstellung? – Falsch. Frauen haben einen wesentlich geringeren CO2-Fußabdruck. Das ist belegbar. Oder nehmen Sie die Digitalisierung der Arbeitswelt mit allen Auswirkungen. Frauenerwerbstätigkeit hat sich auch grundlegend verändert. Früher waren Wiedereinstiegskurse nach längeren Erziehungszeiten die Regel, heute sind die Unterbrechungszeiten in der Regel kürzer. Aber Frauen haben oft das Gefühl, „ich genüge all dem nicht“. Das höre ich immer noch von vielen Frauen.

 

Und die Männer? Haben die dazugelernt?

 

Inge Trame: Immer mehr Männer wollen eine aktive Vaterschaft und gehen in Elternzeit.

 

Mehr als die obligatorischen acht Wochen?

 

Inge Trame: Auch da ist sicherlich noch Luft nach oben, aber ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg. Hier ist der öffentliche Dienst auch offensichtlich weiter als die Privatwirtschaft. Das wird mir immer wieder von Kollegen bestätigt, die aus der Privatwirtschaft in die Verwaltung gekommen sind und die in dieser Hinsicht eher negative Erfahrungen in Unternehmen gemacht haben.

 

 Die Gütersloher Gleichstellungsstelle heißt „Gleichstellungsstelle für Frau und Mann“. Werden Sie auch von Männern als Ansprechpartnerin wahrgenommen?

 

Inge Trame: Der Name ist Programm, sage ich immer. Die „Gleichstellung von Frau und Mann“ ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten. Das geht nur gemeinsam, Männer und Frauen müssen in bestimmten Bereichen beide Verantwortung übernehmen. Geteilte Fürsorgearbeit, gleichberechtigte Partnerschaft. Dazu gehört beispielsweise auch,  dass Männer genauso selbstverständlich Beratungsangebote annehmen, wenn es um Partnerschaft geht.

 

Kommen auch Männer zur Beratung zu Ihnen?

 

Inge Trame: Es sind weniger. Aber zum Beispiel Männer, die aus dem Erziehungsurlaub wieder in den Beruf einsteigen, haben die gleichen Fragen und Probleme wie Frauen. 

Die Gleichstellungsstelle ist für Männer auch Ansprechpartnerin in Partnerschaftskonflikten, möglicherweise weil wir keine ausgewiesene Männerberatungsstelle in Gütersloh haben. Aber es gibt den  Leitfaden „Trennung-Scheidung“, der auf Männer und Frauen, gleichermaßen ausgerichtet ist. Und viele Angebote, die Paare betreffen.

 

Aus gegebenem Anlass: Ist die Gleichstellungsstelle erste Anlaufstelle bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?

 

Inge Trame: Entsprechend unserer Dienstvereinbarung „Fairer und respektvoller Umgang am Arbeitsplatz“ stehen in der Verwaltung verschiedene Ansprech- und Vertrauenspersonen zur Verfügung. Betroffene haben in der Verwaltung die Möglichkeit, sich an eine Stelle ihrer Wahl zu wenden, wie die Fairness-Beauftragte, den Personalrat, die Personalabteilung oder die Gleichstellungsstelle. Und natürlich ist hier auch die Sensibilität der Kolleginnen und Kollegen und unmittelbaren Vorgesetzten zu nennen, die sofort einschreiten sollten.

In Gütersloh haben wir zudem die gute Situation, dass es hier eine Frauenberatungsstelle gibt, die speziell zu diesem Thema berät. Denn es kann ja auch sinnvoll sein, eine externe neutrale Person zu Rate zu ziehen.

 

Was hat sich hier verändert in den vergangenen Jahrzehnten?

 

Inge Trame: Die Sensibilität für Vorfälle von sexueller Gewalt auch am Arbeitsplatz ist größer geworden, Grenzen bzw. Grenzüberschreitungen sind klarer definiert. Beschwerden über grenzverletzendes Verhalten werden ernst genommen und früher geahndet.

 

Sind Frauen selbstbewusster geworden?

 

Inge Trame: Junge Frauen haben häufig ganz konkrete Lebensentwürfe und berufliche Vorstellungen  und wissen genau,in welchem beruflichen Umfeld sie arbeiten wollen. Sie wollen in einem wertschätzenden und respektvollen Umfeld auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen arbeiten.

Was sollten Mütter heute ihren Töchtern für die Zukunft raten?

 

Inge Trame; Spontan: Der Mann ist kein Vermögen. Will sagen: Eine Beziehung ist keine Altersversicherung.  Frauen müssen auch in einer Ehe den Überblick über ihr Vermögen behalten, eigenständig ihren Lebensunterhalt sichern. Und wenn sie sich für eine Reduzierung der Arbeitszeit entscheiden – was im gegenseitigen Einvernehmen ok ist –, müssen sie wissen, was das bedeutet. In diesem Fall kann es ein Modell sein, dass der berufstätige Partner oder die Partnerin monatlich Geld überweist. Deshalb macht mich fassungslos, dass es noch immer das Ehegattensplitting als Überbleibsel aus den 80er Jahren gibt, denn es verfestigt die überholten Modelle.  

Was braucht es für Rahmenbedingungen, um mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?

 

Inge Trame: In Stichworten: Ehegattensplitting reformieren, die institutionelle Kinderbetreuung ausbauen, die Förderung flexibler Arbeitszeitar­rangements für Männer und Frauen. Statt Präsenz- und Überstundenkultur braucht es mehr Arbeitsplätze in kurzer Vollzeit. Systemrelevante Berufe im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitswesen gilt es aufzuwerten, Stereotype bei der Berufswahl sind abzubauen.

 

Und was kann die Gleichstellungsstelle im Gütersloher Rathaus dazu beitragen?

 

Inge Trame: Eine Aufgabe der Gleichstellungsstelle ist die kontinuierliche Netzwerkarbeit. Die Partnerinnen und Partner zu verschiedenen Themen zusammenzuführen, um die kommunale Gleichstellungsarbeit vor Ort weiterzuentwickeln. Das hat sehr gut geklappt in den vergangenen drei Jahrzehnten. Und es gelingt nach wie vor. So sind viele gute Projekte, Initiativen und Kampagnen in der Stadt entstanden, die dazu beitragen, das Bewusstsein für Themen der Gleichstellung zu schärfen. Dazu gehört auch, mit intensiver Öffentlichkeit immer wieder auf die Geschlechterperspektive hinzuweisen. 

 

In diesem Sinne…?

In diesem Sinne herzliche Einladung, die Angebote zum Weltfrauentag rund um den 8. März wahrzunehmen. „Höchste Zeit…für mich“ ist es überschrieben, das ganze Programm finden Sie unter www.gleichstellung.guetersloh.de

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